Herzflimmern
nicht.«
Mickey musterte den Mann, der ihr gegenüber saß. Sie wußte, daß er Harrison Butler hieß, Eigentümer der Firma Butler Pineapple war, des zweitgrößten Ananasproduzenten auf den Inseln. Sie schätzte sein Alter auf etwa sechzig Jahre, aber er wirkte körperlich fit und sportlich. Und er war ein sehr gutaussehender Mann.
»Kann ich etwas für Sie tun, Mr. Butler?« fragte sie behutsam.
Er richtete die grauen Augen auf sie. »Wann kann ich zu ihm?«
»Das wird noch eine Weile dauern. Er ist jetzt auf der Intensivstation. Er ist immer noch bewußtlos, Mr. Butler.«
Butler nickte. Sein Blick entglitt ihr wieder in weite Fernen.
»Ich habe das Surfen nie gemocht«, sagte er beinahe wie zu sich selbst. »Im letzten Jahr wollte er Drachenfliegen; da bin ich unerbittlich geblieben. Aber das Surfen lag ihm immer schon im Blut. Er hat seit seinem fünften Lebensjahr auf dem Surfbrett gestanden. Ich wußte, daß das hier eines Tages passieren würde.«
Mickey blieb schweigend bei ihm sitzen; sie hatte die Erfahrung gemacht, daß das häufig half. Während sie bei ihm saß, achtete sie auf Anzeichen eines Zusammenbruchs. Nicht selten brauchen die Angehöri {232} gen von Patienten Beruhigungsmittel. Doch Harrison Butler schien nicht zu ihnen zu gehören. Er saß nur da und starrte ins Leere.
Mickey fand ihn sehr elegant in dem gutsitzenden Maßanzug mit der burgunderroten Seidenkrawatte. Kultiviert und vornehm, dachte sie. Ein klar geschnittenes Gesicht, schmal, mit hoher Stirn und gerader Nase.
Als sie über den Krankenhauslautsprecher ihren Namen hörte, stand sie auf. »Ich bin Jasons Ärztin, Mr. Butler. Wenn Sie Fragen haben, oder auch, wenn Sie nur sprechen wollen, dann rufen Sie mich bitte an. Das Krankenhaus kann mich jederzeit erreichen, ganz gleich, wo ich bin.«
In den folgenden vierzehn Tagen konnte Mickey damit rechnen, Harrison Butler an einem von zwei Orten zu sehen: in dem kleinen Warteraum, der zur Intensivstation gehörte, oder am Bett seines Sohnes. Er war immer höflich, niemals aufdringlich, dankbar für alles, was für Jason getan wurde. Nie machte er jemandem Vorwürfe oder machte seinen Ängsten und Sorgen in Form von Zornausbrüchen Luft, die er an das Personal richtete. Er sah ein, daß Jason die bestmögliche Pflege hatte und gab sich damit zufrieden.
Manchmal saß er da und diktierte Geschäftsbriefe; zu anderen Zeiten war er am Telefon und verhandelte über Verträge und geschäftliche Transaktionen. Nie begleitete ihn jemand; nie kamen andere Angehörige Jason besuchen. Ob am frühen Morgen oder spät am Abend, Harrison saß entweder im Warteraum oder am Krankenbett, ruhig und beherrscht. Ein Mann, dachte Mickey, der niemals die Haltung verlor, ein Mann mit unerschütterlichem Selbstvertrauen.
Einmal ließ er den Schwestern auf der Intensivstation einen großen Früchtekorb schicken; ein andermal schickte er den neun anderen Patienten auf der Station Blumen. Und wenn er Mickey begegnete, erkundigte er sich nach ihrem eigenen Befinden.
Er sah wirklich müde aus. Die vierzehn Tage unermüdlichen Wachens hatten ihre Spuren hinterlassen.
»Mr Butler. Wollen Sie nicht nach Hause gehen und sich etwas ausruhen?«
»Ich möchte das Krankenhaus nicht verlassen, Dr. Long. Ich möchte in der Nähe meines Sohnes sein.«
»Aber im Augenblick können Sie doch nichts tun. Ich denke, nach einigen Stunden Schlaf werden Sie sich viel besser fühlen. Wann haben Sie denn das letztemal etwas gegessen?«
Er seufzte und sah auf seine Uhr. »Zum Frühstück, glaube ich. Aber wann haben
Sie
denn zuletzt gegessen, Dr. Long?«
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Sie lächelte. »Ärzte müssen essen, wenn sich’s gerade ergibt, Mr. Butler. Ich hole mir jetzt etwas in der Kantine.«
»Bitte nennen Sie mich Harrison. Es kommt mir vor, als gehörten wir einer Familie an. Darf ich die Ärztin meines Sohnes vielleicht zum Abendessen einladen?«
Sie überlegte einen Moment. Sein Blick verriet soviel – die tiefe Sorge, die Ängste.
»Gleich gegenüber vom Krankenhaus ist ein kleines italienisches Restaurant«, sagte sie. »Da bekommt man zu jeder Tages- und Nachtzeit etwas zu essen. Ich muß mich nur rasch umziehen. Wir können uns ja unten im Foyer treffen.«
Es war so ein kleines Lokal mit karierten Tischtüchern und Kerzen in Chiantiflaschen. Die Speisekarte war einfach und nicht teuer. Viele der Krankenhausangestellten kamen zum Essen hierher, und es war nichts Ungewöhnliches, einen Piepser zu hören und jemanden
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