Herzflimmern
Stimme war vertraut. »Hier spricht Harrison Butler. Ich würde Sie gern sehen, Mickey. Paßt es Ihnen heute?«
»Harrison!«
»Ich muß mit Ihnen reden, Mickey.«
Der Abend war heiß und feucht,
kona
Wetter. Kurz bevor Mickey und Harrison aus Mickeys Wohnung gingen, hörten sie aus dem Radio noch die Warnung: Gegen Mitternacht wurde auf der Südseite der Insel ein schwerer Gewittersturm erwartet.
Sie wollten zu einem Ball, der im Washington Place, der ehemaligen Residenz der Königin Liliuokalani, jetzt Amtssitz des Gouverneurs von Hawaii, stattfinden sollte. Mickey saß schweigend an Harrisons Seite im Wagen, der sich in die lange Kette blitzender Limousinen eingereiht die lange Allee von Pilinußbäumen zum Portal des Palasts hinaufschob. Das Gebäude, inmitten grüner Rasenflächen gelegen, war im vergangenen Jahrhundert erbaut, ein Symbol exotischer Pracht und entschwundener Zeiten. Während Mickey den Prunkbau im Glanz seiner Lichter betrachtete, wurde sie sich bewußt, wie glücklich sie war. Sie liebte den Mann an ihrer Seite.
Seit seinem unerwarteten Anruf im März, der jetzt sechs Monate zurücklag, hatten sie sich regelmäßig gesehen. Mickey hatte damals ohne viel Überlegung ihre Tagespläne fallenlassen und war statt dessen stundenlang mit Harrison einen einsamen Strand entlanggewandert. Schweigend hörte sie ihm zu, während er von Jason sprach, von seinem Schmerz und seiner Trauer, der tiefen Einsamkeit, in der er monatelang gelebt hatte, allein in seinem Haus auf Lanai, für niemanden zu sprechen. Als er nach vier Monaten aus den Tiefen des Schmerzes aufgetaucht war, hatte er ein ungeheures Bedürfnis verspürt, Mickey zu sehen und mit ihr zu sprechen. Er wußte, daß sie verstehen würde, was in ihm vorging; sie hatte die schlimmen Tage ja miterlebt.
Sie legten an jenem Tag einen langen Weg zurück. Beide konnten sie endlich die Gefühle herauslassen, die sich in ihnen angestaut hatten: der Vater, der den Sohn, die Ärztin, die den Patienten verloren hatte. Als sie bei Sonnenuntergang zurückkehrten, in einem guten Schweigen, wußten sie beide, daß etwas Besonderes sich zwischen ihnen angesponnen hatte.
Es war eine warme Beziehung ohne Forderungen und ohne Bedingungen, die sie miteinander verband; gemeinsame Nachmittage, gelegentlich ein Konzert, eine Fahrt zum Waimea Bay zum Mittagessen. Für Mickey war es nicht die berühmte Liebe auf den ersten Blick gewesen, der {238}
coup de foudre;
die Liebe hatte sich langsam entwickelt, gegründet auf gemeinsamen Interessen und Ansichten und gegenseitiger Achtung, aus der Vertrauen und Offenheit gewachsen waren.
Harrison Butler war ein warmherziger und generöser Mensch mit hoher Sensibilität. Der Altersunterschied – Harrison war sechzig, Mickey dreißig – war für Mickey nicht so wichtig, wie sie anfänglich geglaubt hatte. Harrisons jugendliche Kraft und Vitalität machten ihn vergessen.
Dennoch blieb die Beziehung irgendwie ungeklärt. Sie waren Freunde, aber kein Liebespaar, tasteten sich gewissermaßen behutsam an der Oberfläche entlang und zogen sich augenblicklich zurück, wenn tiefere Verstrickung unvermeidlich schien. Tage konnten vergehen, ohne einen Anruf von ihm, dann meldete er sich, und sie verbrachten wunderbare Stunden zusammen, kamen sich einen Nachmittag, einen Abend lang sehr nahe, und dann trennten sie sich wieder. Ganz selten einmal kam es vor, daß eine Atmosphäre wie bei zwei Liebenden zwischen ihnen entstand, wenn Harrison vielleicht ihre Hand nahm und sie still ansah. Aber sobald Nähe drohte, tieferes Sich-Einlassen, zog Harrison sich so abrupt zurück, als hätte er Angst. Das Wort ›Liebe‹ war niemals zwischen ihnen gefallen; sie hatten sich nie geküßt.
Als Harrison sie einmal nach Lanai mitgenommen hatte, in sein herrliches Haus, das hoch auf einem Felsen stand, hatte Mickey gehofft, es hätte eine tiefere Bedeutung. Aber der Besuch hatte eine völlig unerwartete Wendung genommen.
An jenem Tag im Juli, als sie mit Harrison in seinem Privatjet nach Lanai geflogen war, war Jonathan wieder in ihr Leben getreten. Für Mickey war es ein Schock gewesen, da sie überhaupt nicht damit gerechnet hatte.
Als Mickey auf Lanai in Pukula Hau ankam, erfuhr sie, daß für den Abend ein Fest geplant war. Hundert Gäste in Smoking und
holoku
Abendroben amüsierten sich bei Champagner und hawaiischen hors d’œuvres im erleuchteten Park zu den Klängen einer Band, die sie mit Inselmelodien unterhielt. Gegen
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