Herzflimmern
ausgeblasen und in den blauen Rauch gestarrt und dabei gedacht, in zwei Jahren werde ich fünfzig. War das nun alles? Wo ist meine Jugend geblieben?
Arnie Roth kam sich vor, als wäre er nie jung gewesen. In der Rückschau sah er die farblose Kindheit in Tarzana, den stillen kleinen Jungen, der in einer Welt der Mittelmäßigkeit aufgewachsen war; den ereignislosen, beinahe langweiligen Übergang von der Kindheit zur Adoleszenz – keine Pickel, keine heißen Träume –, dann das College und seine Ausbildung zum Wirtschaftsprüfer; er sah ein Leben des Gleichmaßes, ohne Tiefen und ohne Höhen; einen mittelmäßigen jungen Mann, der an seiner Addiermaschine ein mittelmäßiges Dasein fristete. Bis Ruth Shapiro in sein Leben getreten war und das alles geändert hatte.
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Über eine kurze Zeitspanne hatte Arnie einen Geschmack davon bekommen, wie aufregend und unkonventionell das Leben sein konnte – Ruth war so direkt, so unheimlich liberal in ihren Ansichten, so engagiert –, und eine Weile hatte er geglaubt, sein mittelmäßiges Leben würde eine Wendung zum Besseren nehmen. Aber so war es nicht gekommen. Nachdem er sein ruhiges Junggesellendasein gegen ein Leben mit nassen Windeln und Hypotheken eingetauscht hatte, war es wieder in Mittelmäßigkeit versunken.
Da war der blaue Volvo. Arnie riß sich aus seinen tristen Gedanken, knallte die Wagentür zu, sperrte ab und marschierte mit der Aktentasche in der Hand zur Fähre. Wie immer standen schon viele Pendler an der Tür zur Rampe. Arnie ging ganz nach vorn. Er wußte, daß sie am Ende der Schlange war, er fühlte förmlich ihre Gegenwart und hatte Mühe, den Impuls zu unterdrücken, sich nach ihr umzusehen.
Das Boot legte ab. Es schlingerte wie auf stürmischer See, obwohl das Wasser spiegelglatt war. Wird wohl mal wieder was an den Maschinen sein. Arnie war kalt, aber er wollte nicht hineingehen.
Sie
war da drinnen, und der Blick ihrer samtigen Augen würde ihm entgegenfliegen wie ein zitternder Schmetterling.
Er dachte an Ruth. Er dachte in letzter Zeit viel an Ruth; wahrscheinlich weil diese Frau sich immer in seine Gedanken drängte. Immer wenn er sich dabei ertappte, daß er über die rätselhafte junge Frau nachdachte – aus einem Impuls heraus drehte er sich um, und als er sah, daß sie ihn durch das beschlagene Glas anstarrte, wandte er sich ab –, verjagte er sie mit Bildern von Ruth.
Ruth, Ruth, wohin treiben wir? Wollten wir es so? War das vor dreizehn Jahren unser Ziel? Dachten wir an Eintönigkeit und tägliches Einerlei, als wir heirateten? Es war nicht ihre Schuld; Arnie machte Ruth keinen Vorwurf. Zu einer langweiligen Ehe gehörten immer zwei. Nein, das stimmte nicht. Langweilig war ihr Leben nicht; eher zu unberechenbar. Dauernd mußte man irgendwo überstürzt weggehen, aus dem Kino, aus dem Restaurant, von einem Fest, nie wußte man, ob die eigene Frau dasein würde, wenn man nach Hause kam, oder ob man wieder mal Kindermädchen spielen mußte. Eine Zeitlang hatten sie sich deswegen heftigst gestritten; als Arnie der fehlenden Knöpfe, der angebrannten Abendessen und der abgebrochenen Abende müde geworden war. Aber er hatte bald gemerkt, daß Streit nichts half; daß nichts sich ändern würde. Irgendwann hatte er klein beigegeben und einen zweifelhaften Frieden in der Resignation gefunden.
Ein Liebespaar waren sie schon lange nicht mehr. Seit Leahs Geburt vor {275} sieben Jahren, als sie sich geeinigt hatten, keine Kinder mehr in die Welt zu setzen, hatten sie immer seltener miteinander geschlafen. Jetzt kam es kaum noch dazu. Arnie drängte nicht. Wenn es sich ergab, dann, manchmal aus Zufall, manchmal weil einer von ihnen in einer seltenen Stimmung war. Arnie vermutete, daß es bei den meisten Paaren, die so lange verheiratet waren, so aussah.
Er drehte langsam den Kopf und schaute über die Schulter. Sie las die Zeitung und rauchte dabei; alle Indianer rauchten. Als sie den Kopf hob, sah er schnell weg. Ist sie verheiratet? Hat sie einen Freund? Viele Freunde vielleicht?
Das ist die
midlife crisis,
Arnie Roth. Wenn ein Mann anfängt, die Haare auf seinem Kopf zu zählen, den Gürtel unter dem Bauch schließt und hübsche junge Frauen auf der Fähre anstarrt …
Wohin fährt sie abends? Immer ist sie vor allen anderen in ihrem Volvo vom Parkplatz verschwunden …
Die Mädchen werden so schnell erwachsen. Nicht mehr lange, und sie würden aus dem Haus gehen. Dann würden er und Ruth allein sein. Zum erstenmal in
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