Herzflimmern
vermochte sein Anblick sie zu erregen wie am ersten Tag.
Sie rannte hinaus zur staubigen Landebahn. Er hatte die Hände voll mit Postbeutel und Zuckersäcken; trotzdem umarmte er sie und küßte sie herzhaft.
»Was gibt es Neues, Frau Dr. Farrar?« fragte er, als sie Arm in Arm zur Siedlung gingen.
»Nicht viel, Herr Dr. Farrar.« Doch das stimmte nicht ganz. Sondra hatte eine herrliche Nachricht für ihn und konnte es kaum erwarten, sie ihm mitzuteilen. Aber nicht jetzt; später, wenn er ein heißes Bad genommen hatte und zur Ruhe gekommen war.
»Daddy! Daddy!«
Ein kleiner Junge, der eine verblüffende Ähnlichkeit mit Derry hatte, kam aus dem Schulhaus gestürzt. Der fünfjährige Roddy war seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten; nur die lichtbraunen Augen waren anders. Die hatte er von seiner Mutter.
Derry ließ Postbeutel und Zuckersäcke fallen, nahm seinen Sohn in die Arme und schwang ihn hoch in die Luft. Sondra drückte instinktiv die Hand auf ihren Bauch. Bald würden sie ein zweites Kind haben.
»Komm, Roddy«, sagte sie und befreite Derry von dem stürmischen Jungen. »Daddy muß sich erst mal ein bißchen ausruhen.«
Roddy hüpfte ihnen mit schmutzigen Shorts und aufgeschrammten Knien voraus.
»Ndschangu hat gesagt, wir kriegen heute Marmelade zum Tee. Er hat sie dem gemeinen alten Gupta Singh geklaut.«
Damit schoß Roddy davon, um die Rückkehr seines Vaters zu verkünden.
»Ndschangu sollte mit seinen Bemerkungen vor den Kindern wirklich ein bißchen vorsichtiger sein«, meinte Sondra unwillig.
Derry zuckte die Achseln. Das war etwas, was man nicht ändern konnte. Die Voreingenommenheit der Afrikaner gegen die Inder saß tief. Gupta Singh war der Inhaber der Handelsniederlassung, wo die Missionsstation ihre Einkäufe machte. Der alte Inder, der in Kenia geblieben war, als bei Kenyattas Machtergreifung Tausende geflohen und nach Indien zurückgekehrt waren, war Ndschangus verhaßtester Feind.
»Sie vermehren sich wie die Karnickel«, schimpfte der alte Kikuyu häufig. »Ich möchte wissen, wovon die alle leben.«
In letzter Zeit war Sondras Besorgnis gewachsen. Roddy schnappte von Ndschangu allerhand Ungutes auf und lernte von den Eingeborenenkin {269} dem reichlich wilde Spiele. Aber als sie mit Derry darüber gesprochen und gemeint hatte, ob dies denn für die gesunde Entwicklung ihres Sohnes der rechte Ort wäre, hatte Derry nur erwidert: »Mir hat doch meine Kindheit in Afrika auch nicht geschadet.«
Nun ja, vielleicht würde Roddy etwas vernünftiger werden, wenn die kleine Schwester oder der kleine Bruder da war. Sie überlegte, wann sie es Derry sagen sollte. Am Abend, dachte sie, nach dem Essen.
In einer Welt, wo Giraffen, Elefanten und Löwen praktisch im Hinterhof spazierengehen, ist eine gemeine Ratte für einen kleinen Jungen natürlich weit faszinierender. Und jetzt wollten sie eine fangen, Roddy und Zebediah, Kamantes Sohn. Mit Stöcken und viel Phantasie gewappnet machten sie sich auf die Pirsch.
Die beiden Jungen waren nur einen Monat auseinander, aber dieser Monat war entscheidend, und Roddy nützte das weidlich aus. Da er der Ältere war, sah er es als seine Aufgabe an, den Jagdplan zu entwerfen. Zunächst einmal schlichen sie sich hinter der Kirche davon und hüpften über Elsie Sanders’ Erdbeerbeet. Die beiden waren, wie früher ihre Väter, wie Brüder. Geradeso, wie Derry und Kamante einst unzertrennlich gewesen waren und alle ihre jugendlichen Abenteuer miteinander bestanden hatten, waren jetzt Roddy und Zebediah ständig zusammen.
»Du gehst da rum, Zeb«, flüsterte Roddy und zeigte dem Freund mit seinem Stock die Richtung an. »Sie hat sich unter dem Busch verkrochen. Du jagst sie raus, und ich zieh’ ihr eins über.«
Zeb gehorchte und kam sich dabei sehr wichtig vor.
Die Erwachsenen waren im Gemeinschaftsraum, ließen sich von Derry aus Nairobi berichten, lasen lang erwartete Briefe, tranken Tee. Derry hatte beim Reisebüro in Nairobi die Flugscheine und anderen Unterlagen für die bevorstehende Reise auf die Seychellen abgeholt. Er reichte Pastor Sanders eine Kopie des Reiseplans.
»Wir sind in zwei Wochen wieder da. Das Krankenhaus ist in guten Händen. Dr. Bartlett kann uns während unserer Abwesenheit –«
Ein gellender Schrei schnitt durch die warme Luft. Alle Köpfe wandten sich zu den offenen Fenstern. Derry war als erster auf den Beinen. Kinderschreie der Angst und des Entsetzens schallten über den Hof.
Roddy kam stolpernd
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