Herzflimmern
lieber Gott, was sage ich da? Nie im Leben kann ich so einen Preis bezahlen, und sie bekommt bestimmt auf jedes Stück eine Provision. Was fällt mir ein, ihr Hoffnungen auf ein gutes Geschäft zu machen, wenn ich gar nicht die Absicht habe –
»Vielleicht ist es Ihnen ein bißchen zu groß. Wir haben noch einige von derselben Töpferin, kleinere Gefäße mit einfacheren Mustern.«
Während sie sich entfernte, überlegte Arnie krampfhaft, wie er sie ganz ruhig und lässig fragen könnte, ob sie Lust hätte, mit ihm etwas essen zu gehen. Oder besser noch, einen Kaffee zu trinken. Am Wasser zu sitzen, den Möwen zuzusehen und zu reden …
Hinten im Laden läutete das Telefon.
»Bitte entschuldigen Sie mich einen Moment.«
Er sah ihr nach und wußte, was er zu tun hatte. Und tat es. Als sie nicht hersah, drehte sich Arnie um und ging aus der Galerie.
Ruth sah so kalt auf den Mann im Krankenhausbett hinunter, als wäre er ein Fremder. Ihre Mutter hockte zusammengesunken auf einem Stuhl neben dem Bett und weinte geräuschvoll.
»Gestern abend sagte er, er fühle sich nicht wohl. Ich hab’s überhaupt nicht beachtet, Gott strafe mich. Ich dachte, dein Vater wolle sich nur wieder mal über mein Essen beschweren. Heute morgen machte er sich für die Praxis fertig und plötzlich lag er da. Und ich war ganz allein mit ihm.«
Draußen vor der elektronischen Tür, die die Herzstation vom Rest der Welt trennte, versammelten sich die Mitglieder der Familie Shapiro. Mehr als zwei Besucher durften nicht eintreten, und da Ruths Mutter sich weigerte, von der Seite ihres Mannes zu weichen, mußten die anderen einer nach dem anderen warten bis sie an die Reihe kamen.
Die Schläuche und Monitore machten Ruth keine Angst wie den anderen; Angst machte ihr, was sie fühlte. Wie böse Geister sprangen die beängstigenden, messerscharfen Emotionen sie an. Sie verwirrten sie. {280} Sie spürte, wie der Boden schwankte. Sie hielt sich am Metallgeländer des Bettes fest und starrte auf die bläulichen Lider, die über reglosen Augen geschlossen waren, auf den schlaffen Mund, das sanfte Auf und Nieder seines Brustkorbs, als träume er schöne Träume. Du darfst nicht sterben, dachte Ruth verzweifelt. Wir sind noch nicht miteinander fertig.
Als Ruth sich zum Gehen wandte, faßte ihre Mutter sie bei der Hand. »Wohin gehst du? Du kannst jetzt nicht gehen. Du kannst deinen Vater nicht in diesem Zustand zurücklassen. Du bist doch Ärztin, Ruth.«
»Mutter, wenn wir beide hier drinnen bleiben, können die anderen nicht zu ihm.«
»Dann schick Judy herein. Ich möchte jetzt nur Judy sehen.«
»Die anderen haben auch ein Recht, Mutter. Nur für den Fall.«
»Für
welchen
Fall? Ich frage dich, für welchen Fall?«
»Nicht so laut, Mutter!«
»Eine schöne Tochter bist du. Nicht einmal eine Träne hast du für deinen Vater!«
Ruth sah, wie die Schwester bei den Monitoren mit einem unwilligen Stirnrunzeln herüberschaute.
»Mutter, sei doch leise. Weinen kann ich später.«
»Später! Wann denn später? Wenn er tot ist?«
»Wenn du so weiter machst, Mutter, lasse ich dir eine Beruhigungsspritze geben.«
»Natürlich! Das hätte ich mir ja denken können. Du hast eben kein Herz.« Sie vergrub ihr Gesicht im Taschentuch. »Du hast deinen Vater nie gemocht. Gott allein weiß, warum.«
»Mutter –«
»Du hast ihm das Herz gebrochen, Ruth. Du mit deinem Medizinstudium, wo du genau wußtest, wie sehr er sich wünschte, daß du heiraten würdest. Du hast deinem Vater das Herz gebrochen, und jetzt ist er dem Tode nahe, und deiner Mutter bricht das Herz. Das hast du getan, Ruth, dein Leben lang – deinen Eltern das Herz gebrochen.«
Ruth starrte in das Gesicht des schlafenden Fremden und dachte: Ein Leben lang habe ich ihm das Herz gebrochen. Nun, dann hab’ ich’s ja endlich geschafft. Es ist gebrochen.
»Ich schicke Judy herein.« Aber ehe sie hinausging, drehte sie sich noch einmal zum Bett um, beugte sich über ihren Vater, bis ihre Lippen beinahe das warme, trockene Ohr berührten, und flüsterte: »Warte!«
Er hatte flüchtig daran gedacht, eine spätere Fähre zu nehmen, um ihr nicht zu begegnen, aber das hätte gar nichts bewirkt. Sollte er den Rest {281} seines Lebens mit Verspätung ins Büro und mit Verspätung nach Hause kommen, nur weil er sich vor irgendeinem Mädchen, das er nicht einmal kannte, wie ein Idiot benommen hatte? Am besten, man tat einfach so, als wäre nichts geschehen. Im übrigen war ja auch
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