Herzflimmern
nichts geschehen.
Es war sechs Uhr abends und noch hell. Die Tag- und Nachtgleiche näherte sich und mit ihr ein Winter langer, kalter Nächte. Arnie stand im Wind und sah die schneebedeckten Berge, das schiefergraue Wasser, den eisblauen Himmel. Seit dreizehn Jahren fuhr er jeden Tag mit dieser Fähre; wie kam es, daß er erst jetzt, erst an diesem Tag die Welt rund um sich herum wahrnahm?
Er würde nicht zu ihr hinsehen. Auf keinen Fall. Aber er sah hin, und diesmal erwiderte sie seinen Blick nicht. Sie saß wieder im Raucherabteil, mitten in einer Schar Indianer, die alle rauchten. Sie hatte einen Zeichenblock auf den Knien und skizzierte etwas. Arnie starrte unverwandt zu ihr hin, als könne er sie hypnotisieren, ihn anzusehen, aber sie tat es nicht, und er war enttäuscht.
Er hatte es vermasselt. Durch seine Ignoranz all dessen, was ihr offensichtlich sehr wichtig war, hatte er alles vermasselt.
Dreißig qualvolle Minuten später legte die Fähre an. Arnie stand schon im Heck, war einer der ersten, die ausstiegen und eilte die Rampe hinauf zum Parkplatz. Er wollte weg sein, ehe sie kam.
Er saß schon am Steuer, war angeschnallt und startbereit, als er sie wieder sah. Ohne sich zu rühren, blieb er sitzen und beobachtete sie, wie sie sich durch die Menge drängte, zu ihrem Wagen ging, ihre Handtasche hineinwarf und einstieg. Nichts verriet, ob sie ihn bemerkt hatte.
Ach was, dachte Arnie mit der gleichen Resignation, mit der er Ruth nachzugeben pflegte. Es wäre sowieso nichts daraus geworden. Zurück in die Wirklichkeit.
Aber dann bemerkte er, daß ihr Wagen nicht ansprang. Er beobachtete, wie sie ausstieg und die Kühlerhaube aufmachte. Kurzentschlossen sprang er aus dem Wagen.
»Kann ich Ihnen vielleicht helfen?« fragte er und bereute augenblicklich das unüberlegte Angebot. Er hatte von Autos keine Ahnung.
Sie richtete sich auf, wischte sich die Hände an einem alten Lappen und lächelte entschuldigend.
»Das passiert dauernd.«
Er inspizierte den Motor, als wüßte er genau, was er tat, und sagte: »Wissen Sie, woran es liegt?«
»Ja, nur zu gut. Und ich weiß auch, daß ich den Wagen wieder mal abschleppen lassen muß.«
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»So ein Pech«, sagte er und trat zurück, als sie die Motorhaube herunterzog und zuknallte. »Aber da drüben in der Kneipe ist sicher ein Telefon.« Er wies hinüber zu der Bar, wo viele der Männer, die regelmäßig die Fähre benutzten, sich Freitag nachmittags ein Glas genehmigten.
Mit einer Kopfbewegung warf sie das lange Haar nach hinten. »Ich muß meinen Bruder anrufen, aber der ist erst in zwei Stunden wieder in der Tankstelle.« Sie starrte stirnrunzelnd auf ihr Auto. »Bis dahin ist es dunkel. Am besten lasse ich den Wagen hier und hole ihn morgen mit meinem Bruder zusammen ab.« Sie hob den Kopf und sah ihn an.
Beinahe hätte er sein Stichwort verpaßt.
»Oh – kann ich Sie dann vielleicht mitnehmen?«
»Wenn es kein Umweg für Sie ist.«
»Aber gar nicht«, versicherte er. »Wo wohnen Sie? In Kitsap?«
Sie lächelte schwach. »Nein, hier auf Bainbridge Island.«
Arnie wurde blutrot. »Ach so, natürlich. Ich wollte nicht –«
Sie lachte und holte ihre Handtasche aus dem Wagen. »Das macht doch nichts. Die meisten von uns wohnen ja auch im Reservat.«
Nachdem sie den Wagen abgeschlossen hatte, folgte sie Arnie zu seinem Kombi.
»Ach, Sie haben Kinder«, sagte sie, als sie einstieg.
Er drehte sich unwillig nach dem Sammelsurium von Spielsachen um, das den ganzen Rücksitz bedeckte. Sag einfach, daß es der Wagen eines Freundes ist und du in Wirklichkeit ein unverheirateter Playboy bist.
»Ja, ich habe fünf Kinder.«
»Ich finde große Familien herrlich.« Sie schloß ihren Sicherheitsgurt. »Ich komme selber aus einer großen Familie. Ein paar von uns wohnen noch im Reservat. Mein ältester Bruder hat seine eigene Tankstelle und meine beiden jüngeren Brüder sind bei der Fischereiflotte. Meine kleinen Schwestern sind in der
high-school
in Kitsap.«
Während Arnie den großen Kombi vom Parkplatz fuhr, überlegte er krampfhaft, was er zu ihr sagen könnte. Es sollte teilnehmend klingen, ohne neugierig zu wirken, witzig, ohne plump zu sein. Wäre es taktlos zu fragen, welchem Stamm sie angehörte.
»Das war wirklich eine Überraschung heute in der Galerie«, sagte er lahm. »Gehört sie Ihnen?«
»Oh nein. Es ist eine Kooperative. Alle Künstler, die dort ausstellen, beteiligen sich am Betrieb. Manche von uns arbeiten fest dort.«
»Sind
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