Herzflimmern
weint um Derry. Und ich gestehe, es gab Tage, schwarze, schreckliche Tage, wo ich nur sterben wollte. Aber jetzt weiß ich, was ich zu tun habe. Ich muß seine Arbeit fortführen. Ich muß das weiterführen, was Derry begonnen hat. Sein Tod darf nicht umsonst gewesen sein. Ich muß für Derry leben und für unseren Sohn.«
Sondra hielt einen Moment inne, dann beugte sie sich noch weiter vor, {306} streckte einen Arm aus und legte die bandagierte Hand auf Mickeys Knie.
»Mickey«, sagte sie, »ich möchte, daß du mich operierst. Ich möchte, daß du mir meine Hände wiedergibst.«
»Das kann ich nicht«, flüsterte Mickey.
»Warum nicht? In Hawaii hast du doch sehr viele solche Operationen gemacht.«
»Ja, aber seitdem kaum noch.«
Mickey nahm Sondras Hand und legte sie ihr wieder in den Schoß. Sie stand auf und ging zum Kamin. Eine kleine Weile blieb sie mit dem Rücken zu Sondra stehen und stocherte mit dem Schürhaken im Feuer. Dann drehte sie sich.
»Ich habe seit langem so etwas nicht mehr gemacht, Sondra – Wiederherstellungschirurgie, meine ich. Irgendwie bin ich davon abgekommen, ich weiß selber nicht, wie. Aber jetzt mache ich hauptsächlich kosmetische Korrekturen.«
Sondra sah sie lange nachdenklich an.
»Ja, ich verstehe«, sagte sie dann. »Wir haben uns alle verändert, nicht wahr?« Sie seufzte. »Also gut, dann muß es eben Sam Penrod machen. Würdest du sie dir jetzt einmal ansehen?«
Sondra hob ihre eingebundenen Hände.
Mickey ging durch das Zimmer zu einem kleinen Kirschholztisch in der Ecke. Aus seiner Schublade nahm sie eine stumpfe Schere. Wieder bei Sondra zog sie sich eine Fußbank heran, setzte sich darauf nieder und nahm ruhig Sondras rechte Hand in die ihre. Die Schere zitterte leicht, als sie die Gazeumhüllung durchschnitt. Mickey wußte, daß nichts, was sie in den dreizehn Jahren ihrer Tätigkeit an Schrecklichem und Tragischen gesehen hatte, sie auf das vorbereitet hatte, was sie jetzt zu sehen bekommen würde.
Sondras Hände.
Sie hatten vier Monate gebraucht, um dieses Treffen endlich zustandezubringen; nicht weil sie nicht wollten, sondern wegen ihrer vollen Terminkalender: Wenn Jonathan frei war, hatte Mickey keine Zeit und umgekehrt. Es war fast wie in alten Zeiten. Sie hatten am Telefon sogar darüber gelacht.
Er war schon da, als Mickey kam. Er saß an einem der kleinen Tische in dem eingezäunten Gartenrestaurant. An den Wochenenden war das Lokal immer zum Bersten voll; an diesem Tag war es so leer wie der Strand. Jonathan saß ganz allein.
{307}
»Hallo, komme ich zu spät?« fragte sie, als sie um das schmiedeeiserne Gitter herumkam.
Er sprang auf. »Nein, nein, ich war früh dran.«
Er sah jünger aus als damals auf der Weihnachtsparty, trug Jeans und ein blaues Baumwollhemd. Mickey mußte an den Tag im St. Catherine’s denken, als sie im Flur mit ihm zusammengeprallt war.
»Mickey«, sagte er und nahm ihre Hand.
Als sie sich setzte, sah sie auf dem karierten Tischtuch ein in Goldfolie verpacktes Päckchen liegen. Sie erinnerte sich, daß er gesagt hatte, er hätte ein Geschenk für sie, aber sie hatte das damals nicht so wörtlich genommen. Im Grunde wußte Mickey sowieso nicht, was sie eigentlich erwartet hatte.
»Ich habe Chablis bestellt«, sagte er, als er sich ihr gegenüber setzte. »Ich hoffe, es ist dir recht.«
»Keine Patienten, falls du das meinen solltest. Dienstags operiere ich nur. Da habe ich nachmittags keine Sprechstunde.«
»Dann bist du also frei«, sagte er, den Blick auf ihr Gesicht gerichtet.
Mickey war erleichtert, als der Wein kam. Da hatte sie wenigstens etwas zu tun.
»Bist du jetzt wieder für immer in Los Angeles?«
»Nein. Ich fliege nächsten Monat wieder nach Paris. Da geht mein nächster Film in Produktion.«
Ihr wurde etwas leichter. Dieses Mittagessen mit Jonathan hatte sie beunruhigt; sie hatte in der vergangenen Nacht schlecht geschlafen und war mit unangenehmen Gefühlen erwacht. Oberflächlich betrachtet schien es völlig normal, sich mit ihm zu treffen – zwei alte Freunde, die sich nach langen Jahren wiedersehen. Aber unter der Oberfläche brodelte es gefährlich. Sie und Jonathan waren früher weit mehr als Freunde gewesen und sie hatten sich nicht im besten Einvernehmen getrennt. Eine Menge Fragen hatten sich ihr aufgedrängt: Was will er? Warum nach so langer Zeit gerade jetzt? Was ist das für ein Geschenk, von dem er gesprochen hat? Habe ich Angst, ihn wiederzusehen? Habe ich Angst vor ihm
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