Herzflimmern
den Hof hinaus.
Alec kam ihr entgegen. »Wie fühlen Sie sich?«
»Als könnte ich nochmal hundert Stunden schlafen.« Sie schaute an ihm vorbei zu Derry, der jetzt dabei war, einer Frau den Fuß zu verbinden. »Brauchen Sie Hilfe?«
Alec warf einen Blick über die Schulter und schüttelte den Kopf.
»Wir sind für heute fast fertig. Keine Sorge, Sie können noch bald genug mitmischen. Kommen Sie, ich mach’ Sie mit Ihrer neuen Familie bekannt.«
Die Angehörigen der Mission saßen im Aufenthaltsraum, Kikuyu-Arbeiter, scheue junge Krankenschwestern, die ihre Ausbildung in Mombasa genossen hatten, noch ein weißer Arzt, der wie Sondra und Alec nur auf Zeit hier war, dazu mehrere Geistliche aus den Staaten und aus England. In einer Ecke lief das Radio, aber kaum einer hörte zu. Man war viel zu vertieft in die eigenen Gespräche. Der Raum hatte eine ganz andere, viel wärmere Atmosphäre als am Morgen, als Sondra ihn das erstemal gesehen hatte.
Alec machte sie mit allen bekannt. Man begegnete ihr mit Herzlichkeit, einige gaben ihr zur Begrüßung die Hand, viele grüßten sie mit »Jambo« und »Salaam«.
Sie setzte sich mit Alec zusammen zu einer Gruppe an einem der langen Tische, wo Tee und Kekse bereitstanden, und sofort fiel man mit Fragen über sie her, höchst interessiert zu erfahren, was sich draußen in der großen Welt tat.
Ndschangu kam aus der Küche, fixierte sie mit frostigem Blick und stellte eine nicht allzu saubere Tasse vor sie hin.
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»Ich glaube, er mag mich nicht«, bemerkte Sondra leise, als Alec ihr die Teekanne reichte.
»Ndschangu ist mit jedem so. Der einzige, den er wirklich mag, ist Derry. Verrückt, wenn man bedenkt, daß sie früher einmal Feinde waren.«
»Feinde?«
»Ndschangu gehörte der Mau-Mau-Bewegung an. Er war einer der am meisten gefürchteten Rebellen. Derry gehörte zu der Polizeitruppe, die gegen die Aufrührer kämpfte.«
Sondra hatte sich lange vor ihrer Abreise mit der Geschichte Kenias vertraut gemacht und wußte, daß die Mau-Mau ein blutiger Aufstand Mitte der fünfziger Jahre gewesen war.
Ein stattlicher alter Herr betrat plötzlich den Raum und klatschte in die Hände, um die Aufmerksamkeit der Anwesenden auf sich zu ziehen.
»Gute Nachricht!« Er schwenkte einen Briefumschlag. »Der Herr hat uns hundert Dollar zukommen lassen.« Die Worte wurden mit Applaus und beifälligem Gemurmel quittiert.
Dann folgte zu Sondras Überraschung unmittelbar ein geräuschvoller Exodus aus dem Aufenthaltsraum.
»Die Post ist da«, erklärte Alec, als er ihr verwundertes Gesicht sah.
Der stattliche alte Herr kam auf Sondra zu und bot ihr die Hand.
»Meine Liebe, es freut mich sehr, Sie kennenzulernen. Sie sind ein wahres Gottesgeschenk für uns. Es tut mir wirklich leid, daß ich nicht hier sein konnte, als Sie ankamen, aber wir hatten Schwierigkeiten mit der Bank in Voi, die ich dringend klären mußte.« Pastor Sanders nahm seinen Strohhut ab und wischte sich mit einem Taschentuch über den kahlen Scheitel. Er war ganz in Weiß gekleidet, doch es war ein schmuddeliges, durchaus nicht frisches Weiß. »Haben Sie schon alle hier kennengelernt?«
»Danke. Dr. MacDonald war so freundlich, sich meiner anzunehmen.«
»Ah, gut, gut. Tja, Sie müssen mich leider entschuldigen. Hier gibt es immer sehr viel zu tun. Aber Derry wird Sie schon einweisen.
Kwa heri, kwa heri.
«
Nachdem auch der Pastor wieder gegangen war, stellten Sondra und Alec fest, daß sie die einzigen waren, die zurückgeblieben waren.
»Wollen Sie nicht auch Ihre Post holen?« fragte Sondra.
Er errötete leicht. »Die Briefe können warten. Ich wollte Sie nicht mutterseelenallein hier sitzen lassen.«
»Es ist wohl immer ein großes Ereignis, wenn die Post kommt?«
»O ja, das kann man sagen. Man weiß ja nie, wann man damit rechnen {137} kann. Wenn sie dann wirklich kommt, ist man so ausgehungert nach Neuigkeiten, daß man die Briefe der anderen am liebsten auch gleich noch lesen würde.«
»Das kann ich verstehen.« Sondra dachte an die Briefe, die sie von Ruth und Mickey bekommen würde, Verbindungsfäden zu einer altvertrauten Welt. »Bekommen Sie viel Post, Alec?«
»Ja. Ich habe viele Verwandte und Freunde in Kirkwall.«
»Lebt Ihre Frau auch dort?«
Sein Lachen war ein wenig verlegen. »Ich bin nicht verheiratet. Ich kam gar nicht dazu. Ich hatte gerade erst das Studium fertig und meine eigene Praxis aufgemacht, als der Herr mich in seinen Dienst rief. Da hieß es dann, auf nach
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