Herzgefaengnis
auf die businessgekleideten Gäste um mich herum. Ich hatte immer noch meine Jeans an. Und die waren mir ein wenig zu weit geworden.
„Das ist ganz unnötig. Sie sehen gut aus. Und wenn Sie erst mal etwas Richtiges gegessen haben, schlackern Ihnen die Jeans auch nicht mehr so um die Hüften.“
Ja, etwas Richtiges zu essen. Das war es, was mir jetzt fehlte.
„Vielen Dank für das Kompliment. Übrigens - gehen Sie mit all Ihren Mandanten hier her?“ fragte ich.
„Nur mit so hübschen wie Ihnen“, grinste er.
„Hey, das ist aber gar nicht kollegial, Herr Doktor.“
Jetzt lachte er.
„Schauen Sie sich um. Das sind alles Kollegen von Ihnen und von mir. Oder überwiegend. Gewöhnen Sie sich schon mal daran, denn in wenigen Tagen gehören Sie dazu. Ich führe Sie nicht als Mandantin, sondern als Kollegin aus.“ Er legte den Kopf schief. „Und natürlich, weil Sie mir gefallen.“
„Was ist mit unserer kollegialen Abmachung?“
„Oh, die. Die gilt natürlich weiter. Ich verspreche es. Meine Nase ist mir zu wertvoll, als dass ich Leo König noch einmal draufhauen lasse.“ Er fasste sich an einen kleinen Höcker auf seiner ansonsten geraden Nase und schmunzelte.
„Was haben Sie gemacht, als er das getan hat?“
„Das wollen Sie nicht wirklich wissen. Ich habe seinen Luxuskörper ein wenig ... äh ... malträtiert.“
Bei diesen Worten huschte ein selbstzufriedener Blick über sein Gesicht. „Aber das war, als wir viel, viel jünger waren.“
„Erzählen Sie doch mal. Was ist damals genau passiert?“
„Oh nein. Das lassen Sie sich mal schön von Herrn König erzählen. Ich für meinen Teil habe nichts weiter getan, als den Avancen einer hübschen Frau nachzugeben und anschließend ein bisschen Notwehr zu üben.“
All meine Bitten, doch noch etwas mehr zu erzählen, wehrte er lächelnd, aber völlig unnachgiebig ab.
„Wie kommt es, dass Sie und Leo sich so in die Quere gekommen sind?“
„Wahrscheinlich haben er und ich den gleichen Geschmack?“ Er prostete mir mit einer Rotweinschorle zu.
„Auf den guten Geschmack.“ Wir tranken einen Schluck.
Wir bekamen köstliche kleine Tortellini mit einer unbeschreiblich sahnigen Sauce serviert. Ich aß, als gäbe es kein Morgen. Dr. Krawczyk betrachtete mich amüsiert.
„Es macht Freude, Sie so zulangen zu sehen.“ Seine Worte versetzten mir einen Stich. So etwas Ähnliches hatte Leo bei unserem ersten Treffen gesagt. Ich schreckte ein wenig zusammen. Er bemerkte es.
„Was ist? Haben Sie Angst, zuzunehmen?“ Er blickte unverkennbar anzüglich an mir herab. Ich legte das Besteck zur Seite.
„Nein. Ich habe gerade an Leo gedacht. Er hat mal so etwas Ähnliches zu mir gesagt. Sie ... Sie sollten lieber nicht so gucken.“
Er seufzte und setzte einen treuherzigen Dackelblick auf. „Ist es Ihnen so lieber?“ Sein Spott war milde, aber unüberhörbar. Er bedeckte meine Hand mit seinen Händen. „Bitte verzeihen Sie. Ich bin da einfach unverbesserlich.“
Seine Berührung hatte etwas Tröstliches, wie ein Pflaster, das dir deine Mutter auf eine Wunde klebt. Wie konnte ich ihm böse sein? „Unverbesserlich liebenswürdig“, entgegnete ich, und er wirkte erfreut.
Umso erschrockener schaute er, als ich aufblickte – und dabei dermaßen zusammenzuckte, dass ich ein wenig Wein verschüttete. Ich entriss ihm meine Hand. Zu spät.
Er hatte uns bereits gesehen, als er durch die Tür trat, gefolgt von Dana. Er blieb wie angewurzelt stehen, und ein ungläubiger Ausdruck erschien auf seinem Gesicht. Sein Haar war kürzer, viel kürzer als vorher. Seine Wangenknochen traten hervor, als sei er abgemagert. Oder war es nur, weil er einen Dreitagebart trug? Trotz dieser Veränderungen setzte mein Herz bei seinem Anblick ein paar Schläge aus, und das nicht nur vor Schreck. Eine schwarze Jeans umspielte locker seine Schenkel, ein hellgraues Hemd trug er nachlässig darüber. Die unvermeidliche Lederjacke darüber war das älteste Modell, das er besaß: abgewetzt und an einer Stelle löchrig. Er trug diese Sachen mit selbstverständlicher Eleganz. Wäre da nur dieser Gesichtsausdruck zwischen Entsetzen und Wut nicht gewesen.
Ich hatte nur den Bruchteil einer Sekunde, um das festzustellen. Denn Leo machte auf dem Absatz kehrt, wobei er mit seiner Kollegin zusammenstieß, die ihm gerade nachfolgen wollte. Ich hörte seine Stimme - und es versetzte mir einen weiteren Schock. Was er sagte, war nicht zu verstehen. Aber dass er wütend war, konnte man
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