Herzgefaengnis
Durchsuchungsbeschluss und die Durchschrift eines Durchsuchungsprotokolls. Dr. Dr. Jahnke hatte es mit unterschrieben. Sie hatten nur den angekokelten Zettel mitgenommen. Und meine Zahnbürste. Für einen DNA-Abgleich. Aber gesucht hatten sie viel mehr: Schuhe in Größe 41. Zigaretten der Marke „American Spirit“. Und andere Gegenstände, die zu meiner Überführung geeignet wären.
Die Spuren der Durchsuchung hatten Max und Senora Isabel zum Glück gründlich beseitigt. Ich räumte die Nähmaschine zurück in den Flurschrank und packte meinen Koffer wieder aus. Das rote Kleid vom Osterfeuer war ganz zerknittert. Ich dachte daran, wie Leo es mir abgestreift hatte, und legte es über eine Stuhllehne, um es später zu bügeln. Das blaue Top von unserem ersten Rendezvous hatte einen Fleck. Meine Jeans und alles andere, was ich im Gefängnis getragen hatte, wanderte sofort in die Waschmaschine.
Ich beobachtete eine Weile durch das Bullauge der Waschtrommel, wie Schaum meine Kleider umspülte. Das langsame Kreisen der Trommel war wie ein Beruhigungsmittel. Fast war es, als schaute ich dem Feuer in einem Kamin zu. Mit jeder Umdrehung wurden meine Lieblingsjeans und alles andere ein wenig reingewaschen. Nur ich selbst fühlte mich schmutzig. Ich ließ mir ein Bad ein – etwas, das ich sonst nie tat.
Während das Wasser in die Wanne lief, wählte ich Leos Handynummer.
„Sie haben richtig gewählt. Hier ist die Mailbox von Leo König. Ich melde mich sehr gerne später bei Ihnen, wenn Sie mir Ihre Telefonnummer verraten. Aber bitte erst nach dem Geräusch. Tschüss und danke.“
Seine Stimme jagte mir eine Gänsehaut über den Rücken. Auch wenn es nur sein Anrufbeantworter war. Ich ließ das Telefon sinken. Es gab nichts, was ich der Maschine zu sagen hatte. Ich drückte auf „Auflegen“.
Ich legte mir eine CD mit Jazzklassikern auf. Die Sorte, die Leo sonst unter der Dusche sang. Bei „Fly Me To The Moon“ stieg ich in das heiße Wasser, das nach meinem Duschgel duftete. Mit geschlossenen Augen lauschte ich den alten Songs und ließ dabei die Erinnerungen an Leos unwiderstehliche Gegenwart Revue passieren. Sein Anblick, wenn er splitternackt vor dem Spiegel stand und sich rasierte. Oh Gott.
Ich blieb so lange liegen, bis meine Fingerspitzen schrumpelig wurden. Die Musik, der Alkohol am Mittag und die Erleichterung, nicht mehr zurück in das Gefängnis zu müssen, hatten mich müde gemacht. Bevor ich meine Freunde und Familie anrief, würde ich mich kurz aufs Bett legen. Nur ein halbes Stündchen.
Als ich erwachte, war es bereits dunkel. Ich hatte drei Stunden tief und traumlos geschlafen. Ein leichter Kopfschmerz erinnerte mich an die vergangenen Wochen, aber ich war nicht mehr so müde. Ich suchte meine bequemste Jogginghose und ein paar dicke Socken heraus. Ein warmer, weicher Lieblingspulli komplettierte mein Outfit, mit dem ich mich auf der Couch niederließ. Zwar hatte ich nichts außer zwei Flaschen Bier im Haus, aber das reichliche Essen heute Mittag genügte mir vollkommen. Morgen. Morgen konnte ich einkaufen. Heute verkroch ich mich in meiner Wohnung wie ein verletztes Tier.
„Jung?“ Zum Glück war es meine Mutter, die den Hörer abnahm.
„Hallo Mama. Ich bin frei.“
„Hasenkind! Gott sei Dank! Ich hatte solche Angst um dich. Willst du nicht herkommen und dich ein bisschen pflegen lassen?“ Die Stimme meiner Mutter bebte. Hoffentlich weinte sie nicht.
„Oh Mami. Ja, das will ich. Aber erst morgen, wenn ich ein bisschen eingekauft habe. Ich muss noch ein bisschen … allein sein.“
„Ist denn dein Leo nicht bei dir?“
Wie oft würde ich heute noch vergeblich nach einem Taschentuch suchen müssen? Verdammt. Wenn ich morgen zu ihnen ging, mussten meine Augen wieder vorzeigbar sein. Doch ich schluchzte bei Leos Erwähnung auf. So eine Scheiße.
„Er … er ist – er hat – er …“ Ich stotterte herum und brauchte mehrere Anläufe, bis ich meiner Mutter schildern konnte, was heute Mittag geschehen war. Ich beschrieb ihr auch das kollegiale Abkommen zwischen Dr. Krawczyk und mir. Seine liebenswürdige Art, mit mir umzugehen. Und dass er versprochen hatte, nicht mit mir zu flirten. Jedenfalls nicht ernsthaft.
„Och mein Mäuschen.“ Wenn sie das sagte, dann wusste ich: Sie leidet mit. So wie früher, wenn ich mir das Knie aufgeschlagen oder von Olaf, dem Nachbarsjungen, Prügel bezogen hatte. Nicht, dass mich das jetzt irgendwie tröstete. „Soll ich dir den Max vorbeischicken?
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