Herzgefaengnis
deutlich hören und sehen. Er nahm Dana bei den Schultern, drehte sie vor sich herum und schob sie aus der Tür wieder hinaus. Sie stemmte sich zunächst dagegen und protestierte, aber er redete in seiner bestimmenden Art auf sie ein. Zögernd gab sie nach. Auf der Straße ließ sie Leo ein Stück vorgehen, um mir dann hinter seinem Rücken durch das Schaufenster hindurch verschwörerische Zeichen zu machen.
Meine Hände zitterten immer noch, als Leo und Dana um die Ecke waren. Mein Blick blieb an der Eingangstür hängen, als ob dort jederzeit ein Gespenst erscheinen könnte. Mein Mund war trocken. Vorsichtig setzte ich das Weinglas an und trank es in einem Zug aus. Die Geräuschkulisse des Lokals schien in einem Wattenebel zu verschwinden, und ich hörte nur noch leise das Blut in meinen Ohren rauschen.
Leo ...
Er wollte mich nicht sehen. Er wollte nichts mit mir zu tun haben. Vor allem nicht in Gegenwart meines Verteidigers, seines erklärten Erzfeindes. Händchen haltend, in einem überfüllten Lokal, in dem man ihn offenbar bestens kannte.
Dr. Krawczyk bedeckte ein weiteres Mal meine Hände mit seinen und drückte so fest, dass sie zu zittern aufhörten.
„Bitte, Frau Jung.“ Seine Stimme hatte einen weichen Klang. „Nehmen Sie sich das nicht zu Herzen. Er meint es nicht so. Er ist so – impulsiv.“
Ausgerechnet mein charmanter Rechtsanwalt, der sich sonst einen Spaß daraus machte, mit mir zu flirten und mich zu necken, ermahnte mich, nicht an Leo zu zweifeln. Das brachte mich fast zum Lachen und zum Weinen gleichzeitig. Ich wollte Leo, ich vermisste Leo bis zum Wahnsinn, aber wie konnte ich jemals auf den Beistand und die Zuneigung von Dr. Pawel Krawczyk verzichten?
„Er wird sich wieder berappeln. Sie haben nichts Schlimmes getan. Das wird er bald wissen. Ich bin sicher, er verzeiht Ihnen. Ich würde es jedenfalls an seiner Stelle tun.“
„Sie sind viel zu nett zu mir. Ich verdiene das gar nicht“, flüsterte ich.
„Zwei Espresso bitte“, war alles, was er über meinen Kopf hinweg sagte. „Und zwei Grappa.“
Er ließ meine Hände nicht los, und ich ließ es gerne zu. Verdammt gerne.
„Doch, natürlich verdienen Sie das. Sie haben bloß ein schlechtes Gewissen. Und ich auch. Ich hätte nicht … Ich bin schon genau das, als was mich Herr König wahrscheinlich gerne bezeichnet. Lasse nichts anbrennen und so weiter.“ Ein ironisches Schmunzeln. „Aber dank Ihrer Bekanntschaft weiß ich jetzt, dass es auch bei mir mal anders sein könnte. Ich müsste dazu nur jemanden wie Sie treffen.“
Ein verlegenes Lächeln umspielte seine Lippen. „Sie haben mir eine Vorstellung davon gegeben, wie es sein müsste. Damit es sich richtig anfühlt. Ich weiß jetzt, dass ich dazu auch etwas geben muss. Das habe ich immer vermieden.“
Ich hielt den Atem an und wagte nicht zu sprechen.
Er goss seinen Grappa in den Espresso, der gerade serviert worden war, und tat einen tiefen Zug. Er schüttelte sich und verzog das Gesicht. Trotzdem tat ich es ihm gleich – und wurde genau so durchgeschüttelt wie er. Wir mussten beide schmunzeln.
„Haben Sie es sich überlegt? Wollen Sie anfangen bei mir? Dann müsste ich nicht völlig auf Sie verzichten. Und könnte Ihnen viel beibringen. Keine Angst, dass ich Sie – äh – anbaggere. Ich biete Ihnen aber meine Freundschaft an.“ Sein Lächeln hatte schon wieder etwas Süffisantes.
„Ihre Freundschaft nehme ich gerne an.“ Diesmal war ich es, die nach seiner Hand griff. „Das wäre sehr schön, Herr Doktor.“ Seine blauen Augen weiteten sich einen kurzen Moment vor Überraschung.
„Aber über die Sache mit der Arbeit muss ich schlafen.“
Leo wird mich dafür hassen. Aber das tut er ja sowieso schon. Ich seufzte.
„Sabina, dann hören Sie bitte als Erstes mit dem ‚Herr Doktor hier und Herr Doktor da‘ auf und nennen Sie mich Pawel. Ich darf doch Sabina zu Ihnen sagen?“
Ich nickte und erwiderte probehalber:
„Ja, Pawel. Das dürfen Sie. Und danke.“ Nun grinste er breit und hob sein Glas, in dem sich nur noch ein Rest Wasser befand.
„Na los. Auf die kollegiale Freundschaft zwischen Sabina und Pawel.“ Wir prosteten uns mit Wasser zu.
Kapitel 1 8
Meine Wohnung roch unbewohnt. So als wäre ich gerade von einer Reise zurückgekommen. Und tatsächlich stand ja da auch noch mein Koffer. Und meine Nähmaschine. Genau dort, wo ich sie vor gefühlten zwei Monaten hatte stehen lassen.
Auf dem Tisch im Wohnzimmer lagen ein
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