Herzgefaengnis
Franz. Leider. Meine Prüfung ist erst in zwei Wochen. Aber ich kann nicht lernen und auch nicht schlafen. Ich brauche Ablenkung.“
„Die sollste haben. Willste mithelfen? Heute wird et voll, hat Agnes jeunkt. Det Wetter is´ mal schön, da jehen die Leute ´raus.“
„Nicht in diesen Schuhen, Franz. Prost.“
Er trank Wasser, ich das Bier. Wenn ich dabei nur nicht dauernd an Leo an diesem ersten Abend hätte denken müssen. Doch es schmeckte. Kühl, erfrischend und bitter. Und nach dem zweiten wurde die Musik lauter und meine Gedanken etwas leiser.
Irgendwann ging ich hinauf zum Dancefloor. Viel zu selten hatte ich Gelegenheit, mal da oben vorbeizuschauen. Heute legte DJane Anja auf. Dunkelhaarig, mit einer Afro-Frisur, die von ihren riesigen Kopfhörern etwas platt gedrückt wurde. Konzentriert beugte sie sich über ihr Pult, spielte R´n´B.
Probeweise bewegte ich mich ein bisschen zu der Musik. Ich war nicht allein. Die Männer hinten auf den Zuschauerplätzen tranken sich noch Mut an. Aber ein paar Mädels hatten sich schon hergewagt, um ihre Künste zur Schau zu stellen. Ich gesellte mich zu ihnen. Wie lange war das her, dass ich getanzt hatte? Ich tanze sonst jeden Tag. Durch meine Wohnung. Durch Leos Küche. Sogar in meiner Zelle hatte ich getanzt zur Musik, die Leo und Max … Oh Gott, schon wieder. Ich musste endlich aufhören damit. Das rötliche Licht verschwamm vor meinen Augen. Ich brauchte noch was zu trinken. Vielleicht würde ich dann deutlicher sehen.
„Franz, ich brauche ein Caipi. Bitte.“
„Nu komm schon. Kannste dir det nich selba machen?“
Ach Franz. Er zapfte aus drei Hähnen gleichzeitig, während Agnes, meine Ex-Kollegin, hektisch Cocktailbecher schüttelte.
„Nein.“ Das war das erste Mal seitdem. Seit – Pawel. Ich sagte Nein. Tatsächlich.
„Wieso denn nich´? Siehste denn nich´, wat hier los is`?“ Er rollte mit den Augen.
„Franz, ich zahle auch dafür. Ich – ich möchte heute ein Gast sein. Bitte.“
„Na jut. Agnes, machste der Sabina ma´ n´ Caipi?“
Das Zeug schmeckte verboten lecker. Der leicht bittere Limettengeschmack weckte meine Lebensgeister. Ich begann, mich umzuschauen. Ein bekanntes Gesicht erwartete ich nicht unbedingt. Was hätte ich auch sagen sollen zu jemand, der mich drei Wochen nicht gesehen hatte? Aber die Erinnerung, wie Leo durch diese Eingangstür gekommen war …
Beim zweiten Caipirinha klopfte mir von hinten jemand auf die Schulter. Ich schrak zusammen und verschüttete etwas von dem Getränk auf den Tresen.
„Wer wird denn so schreckhaft sein. Mensch Sabina. Hab´ dich echt vermisst. Wo warst du?“ Das war die Stimme von – Bernie Hofreiter! Ich wandte mich um, und er strahlte mich an.
„Bernie!“
Er drückte mich kurz an sich. Sein Dreitagebart piekste in meine Wange.
„Sabina. Was macht dein Examen? Feierst du?“
Ich schüttelte den Kopf. „Noch nicht. Bin bloß so hier. Meine Prüfung ist auf übernächste Woche angesetzt.“ Musste er ja nicht gleich wissen, dass sie verschoben wurde wegen eines Mordfalls.
„Und wie geht es dir?“
Die Frage musste ja kommen. Es war schwierig, ein „Oh, gut, sehr gut, und dir?“ herauszubekommen. Aber ich schaffte es. Nur mein Gesichtsausdruck schien nicht dazu zu passen, denn Bernies Augen weiteten sich, als ich mich abzuwenden versuchte. Er fasste an mein Handgelenk und drehte mich ein wenig zu sich herum.
„Du schwindelst. Mir geht es gut. Aber dir nicht – du schwindelst. Sieh dich nur an. Du hast abgenommen. Steht dir nicht.“
„Bernie, das macht man so in Mitteleuropa. Man sagt sich, dass es einem gut geht.“
„Aber doch nicht mir. Ich frage doch, weil ich es wirklich wissen will.“ Er blickte beinahe empört drein. Höflichkeit schien an ihn verschwendet zu sein. „Dir geht es also …“
„… beschissen“, vervollständigte ich seinen Satz. Er wollte es ja so.
„Franz, mach ma´ zwei Wodka.“
„Bernie! Willst du mich betrunken machen?“
Er schüttelte den Kopf.
„Nein, nur besser gelaunt. Erzähl´ doch mal. Wer hat dich so zugerichtet? Dem klopp´ ich die nächste Mülltonne über´n Kopf, da kannst du Gift drauf nehmen.“ Er stemmte die Arme in die Hüften. Breitbeinig stand er da und zwinkerte mir zu. Dann setzte er das Schnapsglas an und leerte es in einem Zug. Ich tat es ihm nach.
„Das lässt sich nicht so in ein, zwei Sätzen erzählen, Bernie.“
„Dann lass dir Zeit. Ist ja noch früh heute.“
„Willst du es wirklich
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