Herzgefaengnis
Ruhe.“
„Ey spinnst du, ich hab doch nichts mit der. Wollte der nur helfen … Idiot.“
Ich ließ den Motor an, doch ich konnte nicht fahren. Zu verschleiert war mein Blick. Unaufhaltsam flossen weitere Tränen. Ich ließ sie laufen, dabei hatte ich mal wieder kein Taschentuch. Diesmal würde es auch niemanden geben, der mir seins reichte.
Als die beiden Typen weg waren, stellte ich den Motor wieder aus. Nach gefühlten fünf Stunden richtete ich mich auf und lehnte mich mit geschlossenen Augen zurück. Mein Kopf dröhnte. Ich hatte mich in den Ärmel meiner Bluse geschnäuzt und mir die Tränen mit meinem Trenchcoat abgewischt. Dem Trenchcoat, den mir Leo damals vom Leib gerissen hatte.
Mir fiel plötzlich ein, was der Arzt neulich noch gesagt hatte: „Bewegen Sie sich. Laufen Sie dem Stress und der Angst davon.“
Also fuhr ich nach Hause, zog mich um, holte den MP3-Player und lief los. Machte einen großen Bogen um den Park und die bewusste Stelle. Ich lief und lief, bis meine Waden schmerzten und ich meine Jacke ausziehen musste, weil mir so warm geworden war. Ich setzte einen Fuß vor den anderen, auch als der Schmerz sich schon längst auf Hüften, Oberschenkel und meine Füße ausgebreitet hatte.
In dieser Nacht schlief ich trotz der Anstrengung und einem heißen Bad, das ich danach genommen hatte, alles andere als ruhig. Ich wachte mehrmals auf, weil ich Heimke in ihrem Blut liegen sah. Und ein hämmernder Schmerz in meinem Kopf tat ein Übriges, um den nächsten Tag zu einem Tag zu machen, den man aus dem Kalender streichen sollte.
Auch die Meditationsstunde bei Dr. Gärtner, dem Neurologen, änderte nichts an meiner Stimmung. Genau so wenig wie die Laufrunden, die ich nun regelmäßig drehte. Es waren alles nur Ablenkungen. Ein Blick in meine Bücher überzeugte mich davon, dass ich eine Versagerin war,denn jede Zeile verschwamm vor meinen Augen, der Sinn erschloss sich mir nicht, und die Erinnerung an Gelerntes wollte und wollte nicht wiederkommen.
Dr. Gärtner hatte mir empfohlen, trotzdem immer weiter zu laufen. So lange, bis ich auf andere Gedanken kam. Doch meine Gedanken kreisten nur um Leo, Pawel und mein ganz und gar verpfuschtes Liebesleben.
Ich putzte bei lauter Musik die Wohnung, bis Dr. Dr. Jahnke wieder die vertrauten Klopfgeräusche veranstaltete. Ich ging zu meinen Eltern, Rasenmähen, Rosen düngen und Holz sägen, das von einem kürzlich gefällten ehemaligen Weihnachtsbaum übrig geblieben war. Ich entrümpelte meinen Schrank, strich mein Badezimmer neu und nähte neue Sofakissen.
Bis ich feststellte, dass heute mein verschobener erster Examenstermin stattgefunden hatte. Ohne mich. Es war nur eine Woche her, dass ich mit Pawel in dem Restaurant gesessen und meine Freiheit gefeiert hatte. Nur eine Woche, seit ich Leo das letzte Mal gesehen hatte. Wenigstens von Weitem. Und jetzt feierten vier Ex-Referendare ihren Eintritt in das geheiligte Juristen-Berufsleben. Ohne mich.
Du bist selber schuld, bedeutete mir mein Stolz. Hättest eben nicht so leichtsinnig allen möglichen Versuchungen nachgeben sollen.
Ich starrte aus dem Fenster, ohne wirklich etwas zu sehen. Sollte es jetzt die nächsten zwei Wochen so weiter gehen? Wie eine Verrückte einen nicht vorhandenen Putzfimmel austobend – immer in Angst vor einer weiteren schlaflosen Nacht? Lernen unmöglich. Sollte denn das auch noch den Bach runtergehen?
Es wurde schon dunkel, und in der Stadt lockten die Verheißungen eines neuen Wochenendes. Ich zog mich um, tuschte meine Wimpern und steckte mein Haar hoch. Ich zog extra einen schmalen Rock an und Schuhe mit hohen Absätzen. Meinen Trenchcoat hatte ich von den Tränenspuren befreit, und ich warf ihn mir um – nicht ohne an seinen letzten Einsatz als erotisches Hilfsmittel zu denken. Es versetzte mir einen Stich.
Ich nahm ein Taxi und fuhr zu Franz. Ins „Randale“. Dort würde ich mich durch die laute Musik ablenken können. Wenn mir schon Sport, Meditation und Gartenarbeit nicht halfen, dann wenigstens ein bisschen Feiern.
Kapitel 19
Als Franz mich kommen sah, strahlte er über das ganze Gesicht.
„Mensch Mädchen. Det is´ ja ´ne Überraschung. Ick dachte schon, ick muss dir da besuchen. Du weeßt schon. Hamse doch noch jesehn, det de unschuldig bist. Machste nu noch deine Prüfung?“ Er schüttelte meine Hand und zapfte mir ein großes Bier. Dann musterte er mich skeptisch.
„So richtich erholt haste dich aba von det allet noch nich.“
„Nein,
Weitere Kostenlose Bücher