Herzgefaengnis
Sie gerne vernehmen. Sie sind noch nicht vernehmungsfähig, habe ich gesagt.“
Was sollte das denn? Mein Kopf konnte das alles nicht verarbeiten. Er begann, wieder wehzutun. Ich runzelte die Stirn und schloss die Augen. Dr. Westhage ordnete an, dass ich ein Schmerzmittel bekomme. „Es wird Ihnen jetzt von Stunde zu Stunde besser gehen. Nur der Kopfschmerz kann noch etwas anhalten. Ich schaue heute Nachmittag noch einmal nach Ihnen.“
Zeit genug, um mir den gestrigen Tag noch einmal ins Gedächtnis zu rufen. Was hatte ich getan, bevor ich nichts mehr wusste? Ich hatte die Feuerwehr gerufen. Und dann war ich offenbar neben Heimke umgefallen. War sie … tot? War das der Grund für meine Ohnmacht? Hatte ich mir den Kopf aufgeschlagen, als ich auf dem Bürgersteig aufprallte? Diesen Schreck würde ich so schnell nicht vergessen. Er war noch gegenwärtig, viel gegenwärtiger als das ganze Krankenhaus, die Untersuchungen und all das Drumherum. Klar und deutlich sah ich Heimke in ihrem Blut liegen. Das Messer in der Brust, mit einem Schaft aus – aus was eigentlich? Er war irgendwie bräunlich gewesen. Wer konnte das getan haben – am helllichten Tag? Eine wehrlose Frau einfach niederstechen. Ach was – sie lag ja sogar schon am Boden.
Ich konnte trotz schmerzhaften Grübelns nicht erkennen, warum jemand das getan haben sollte. Es sei denn, sie hätte das, was sie mit mir abgezogen hatte, auch noch mit anderen gemacht.
Das brachte mich darauf, was ich selbst getan hatte. Sie zu Boden gestoßen. Sicher, in Notwehr. Aber würde man das Messer finden, das sie auf mich gerichtet hatte? Und welche Verletzungen hatte sie sich beim Sturz zugezogen?
Der schlimmste Gedanke kam mir aber erst jetzt: Ich war daran schuld, dass sie jetzt tot war. Dass sie es war, daran hatte ich kaum Zweifel. Hätte ich sie nicht umgeschubst, hätte der Unbekannte sie nicht einfach abstechen können. Oh Gott. Diese Erkenntnis traf mich wie eine Keule. Ich war es gewesen! Ein eiskalter Schreck durchfuhr mich bei dem Gedanken.
Wäre ich doch nur bei ihr geblieben – aber wer hätte dann Hilfe holen sollen? Die Straße und der Park waren leer gewesen, sodass der Täter keine Scheu hatte, auf eine am Boden liegende Frau einzustechen.
Meine Gedanken begannen, sich immer mehr im Kreis zu drehen. Keine gute Voraussetzung für einen klaren Kopf. Als es an der Tür klopfte, zuckte ich zusammen.
Leo kam herein. Blass und mit dunklen Ringen unter den Augen. Er schloss die Tür sorgfältig hinter sich. Dann setzte er sich zu mir.
„Leo …“ Das erste Wort seit gestern. Ich hatte Zweifel gehabt, ob meine Stimme mir noch gehorchen würde. Er kam im richtigen Augenblick. Ich musste jetzt mit jemandem reden. Mir wurde bewusst, wie sehr ich ihn in der Nacht vermisst hatte. Er küsste mich vorsichtig.
„Sabina, ich habe wenig Zeit. Aber ich muss wissen, was passiert ist. Sie werden einen Kollegen schicken, um dich zu vernehmen, verstehst du das? Aber bitte sag´ zuerst alles mir. Jetzt. Ich helfe dir und beschütze dich.“
Wovor? Ich blickte zu ihm auf und konnte Sorge auf seinem Gesicht erkennen.
„Ja, ich sage dir alles, was ich weiß“, versprach ich. „Wovor beschützt du mich?“
„Vor einem falschen Verdacht. Bitte frag´ nicht weiter. Erzähl´ jetzt.“
Das klang wie ein Befehl. Ich schilderte alles von der Minute an, wo ich meine Wohnung betreten hatte. Er zog sein Notizbuch hervor und schrieb mit. Als ich dabei angekommen war, wie Heimke das Messer zog, unterbrach er mich.
„Wie sah es aus? Bitte, beschreibe es so gut du kannst.“
Als ich damit fertig war, verlangte er, dass ich das andere Messer in Heimkes Brust beschrieb. Jedenfalls das, was davon zu sehen gewesen war.
„Leo, ist sie … ist sie …“
„Ja, Tesoro . Sie ist tot. Dana und ich waren am Tatort. Und noch ein paar andere Kollegen. Darum bin ich hier. Sie glauben, du hättest …“ Er stockte und blickte forschend in meine Augen.
Oh nein. Das konnte er nicht glauben. Niemand konnte doch so etwas denken. Ich war doch das Opfer gewesen – bis zu diesem einen Augenblick. Sie glaubten, ich hätte Heimke abgestochen?
„Nein, Leo. Nein, du glaubst das nicht, oder?“ Ich klammerte mich an seine Hand. „Bitte, ich war das nicht. Als ich runterkam, lag sie so da. Wie es passiert ist … ich weiß es nicht.“
Er betrachtete mich abwägend, wie einen fremden Menschen, den er noch nie gesehen hatte. Nichts erschreckte mich mehr als dieser Blick.
„Leo, sag´
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