Herzgefaengnis
hinein zu schauen. Wahrscheinlich war er dankbarer Abnehmer diverser Reste, die die Gefangenen von dem nicht sehr genießbaren Essen übrig ließen. Ich schaute mich nach Krümeln um. Beim Abendbrot würde ich ihm etwas aufheben.
Am späten Nachmittag erschien eine weitere Bewacherin und schob eine blasse, zierliche Frau in meine Zelle. Sie war vielleicht Anfang dreißig.
„Sie haben gemeinsame Unterbringung genehmigt. Das hier ist Ihre neue Mitbewohnerin. Achten Sie ein wenig aufeinander.“ Das klang nicht unfreundlich. Sie wandte sich an die Neue: „Das wird schon werden.“ Dabei lächelte sie ermutigend. Zu mir waren sie nicht so nett gewesen.
Die Tür schloss sich wieder, und wir nahmen uns in Augenschein. Ihr Gesicht war aschfahl. Ihr strähniges dunkles Haar war zu einem nachlässigen Pferdeschwanz zusammengefasst. Dichte, fein geschwungene Augenbrauen über glanzlosen Augen in graublau. An sich wäre sie hübsch gewesen, doch um ihren Mund hatten sich zwei tiefe Falten eingegraben, die ihrem Gesicht einen bitteren Zug gaben. Sie hatte ein Wäschepaket auf dem Arm und ich deutete auf das zweite Bett.
„Legen Sie das einfach dort hin.“
„Sag´ bitte du zu mir. Ich heiße Olga. Olga Herzig.“ Sie sprach mit einem weichen, slawischen Akzent. Russisch?
„O. k. Ich heiße Sabina. Jung.“
Sie trug Jeans und Sneakers. Das graue T-Shirt mit weitem Ausschnitt und die billige Strickjacke in einem schrillen Lilaton machten sie noch blasser, als sie schon war.
Mein Herz zog sich bei ihrem Anblick zusammen. Sahen so alle meine Mitgefangenen aus? Hoffnungslos, resigniert? Ich fragte mich, was ihr wohl widerfahren war. Dass es nichts besonders Gutes sein konnte, war deutlich zu sehen. An ihrer linken Wange hatte sie eine kleine, gerötete, kreisrunde Narbe.
Ich half ihr, das Bett zu beziehen. Sie setzte sich darauf und starrte teilnahmslos vor sich hin, mit den Unterarmen auf ihren Beinen, zwischen denen ihre Hände herabhingen. Ein zusammengesunkenes Häufchen Elend.
Sie aß nichts zum Abendbrot. Blieb einfach auf dem Bett sitzen, mit einem apathischen Ausdruck im Gesicht. Ich fütterte den Spatz mit Brotresten und ein paar Stückchen Käse. Die Krümel drückte ich durch die engen Drahtmaschen, die vor den Gitterstäben an unserem Fenster aufgespannt waren. Der Spatz nahm sie dankbar an. Er bekam bald Gesellschaft, und die Vögel stritten sich um die besten Happen. Olga beobachtete sie mit leerem Blick.
Ich zog mich aus und legte mich hin. Zum Glück hatte Max mir ein paar Sachen mit ins Krankenhaus gebracht, die ich in die Zelle mitnehmen durfte. Olga saß nach wie vor regungslos auf ihrem Bett. Erst als das Licht ausging, zog sie sich aus und machte sich fertig. Die ganze Zeit hatte sie nichts gesprochen, und wenige Minuten, nachdem sie ins Bett gestiegen war, hörte ich an ihren tiefen Atemzügen, dass sie fest schlief.
Ich hingegen lag lange wach. Dachte an Leo. Wie ich neben ihm in seinem King Size-Bett gelegen hatte und wie beruhigend seine Nähe sogar im Schlaf für mich gewesen war. Er schlief oft auf dem Rücken, die Arme über dem Kopf, und ließ es sich gefallen, dass ich die Hand auf seinen Bauch legte, um einschlafen zu können. Meine Augen füllten sich mit Tränen, und ich weinte mich leise in den Schlaf.
Ich erwachte von einem lauten Stöhnen. Olga murmelte Unverständliches in einer fremden Sprache. Sie warf sich hin und her. Plötzlich stieß sie einen so schrillen Schrei aus, dass ich senkrecht im Bett saß. Sie wand sich und schrie „Nein, bitte nein … nein …“ Heftig strampelnd, schien sie sich gegen irgendetwas zur Wehr zu setzen.
Fieberhaft überlegte ich, wie ich sie aus ihrem Albtraum wecken könnte. Anfassen war zu gefährlich, sie schlug und trat um sich.
„Olga, wach sofort auf. Du träumst schlecht“, rief ich laut. Sie reagierte nicht, strampelte und schrie weiter. Ich musste dreimal laut rufen, bis sie mit einem Seufzer erwachte.
„Olga, du hast schlecht geträumt. Hier kann dir nichts passieren. Ich bin da, um auf dich aufzupassen. Hörst du? Du bist hier sicher! Sicher! Hörst du?“
Sie richtete sich ein wenig auf und begann zu weinen.
„Er kommt immer noch“, schluchzte sie. „Immer noch … dabei ist er doch …“
Ich sprang auf und setzte mich neben sie. Als ich meinen Arm um sie legen wollte, schüttelte sie mich ab. „Nein, bitte nicht … ich – ich …“ Sie schlug die Hände vors Gesicht und weinte immer weiter.
„Olga, wenn es dir
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