Herzgefaengnis
übergeben musste. Mehrmals. Es dauerte eine Weile, bis die Klospülung ging und Wasser zu rauschen begann.
Ich bekam nicht mehr mit, wie sie wieder ins Bett kam. Denn ich war fast augenblicklich in tiefen Schlaf gesunken.“
Au weia. Das war eine ziemlich persönliche Schilderung. Wenn Leo das las … aber ich fühlte, dass ich jetzt keine Wahl mehr hatte. Mir nützte nur noch die ungeschminkte Wahrheit. Wie im Fieber schrieb ich weiter. Schilderte meine Flucht aus der Danziger Straße. Den Verlust meiner Mütze, die Anrufe und SMS. Dass dabei Tränen über meine Wangen liefen, ignorierte ich, so gut ich konnte. Ich fuhr damit fort, wie sie vor meiner Tür gestanden hatte, als ich joggen war.
Plötzlich stutzte ich. Eine Bemerkung meines Rechtsanwalts kam mir in den Sinn:
„Falls eine dieser Personen das Auftauchen der oder des Täters bestätigt …“ Das Auftauchen des Täters . Ich vergegenwärtigte mir noch einmal die Augenblicke im Park. Da war etwas gewesen, etwas, dem ich bis heute keinerlei Aufmerksamkeit geschenkt hatte: die Person im Parka. Vielleicht hatte sie gar nicht da gestanden, um zu pinkeln. Vielleicht hatte sie einen anderen Grund gehabt, gerade dort zu stehen, versteckt im Gebüsch. Vielleicht war Heimke der Grund …
Ich bekam eine Gänsehaut. Wenn es nun diese Person gewesen war, die Heimke … Dann wusste sie auch, wo ich wohnte. Und sie oder er lief immer noch frei herum. Brauchte keine Angst zu haben, denn verdächtigen tat man mich und niemanden sonst. Mein Herz schlug bis zum Hals, als ich begann, dieses Detail so genau wie möglich zu notieren.
Ich las alles noch mindestens dreimal durch. Nicht, dass ich mich damit vor Dr. Krawczyk blamierte. Zum ersten Mal stellte ich mich der Verantwortung. Ich konnte nachfühlen, wie sehr ich Heimke verletzt haben musste. Ich weinte um sie. Und das war das Schrecklichste. Doch ich fügte auch dieses Detail noch hinzu. Jetzt war sowieso schon alles egal.
Bevor ich am nächsten Morgen zur Haftprüfung abgeholt wurde, versprach ich Olga, meinen Verteidiger zu fragen, wie ich ihr helfen konnte. Olga lächelte müde. Sie hatte nachts wieder geschrieen und ich hatte sie geweckt und beruhigt.
In meiner Platzwunde pochte es noch ein wenig. Zudem machte mich ein unangenehmes Jucken nervös. Wie sah ich wohl von hinten aus? Olga hatte noch einmal ihre Flechtkünste an meinen Haaren bewiesen, und ich hoffte, man sah nicht allzu genau auf meinen Hinterkopf.
Meine Aufzeichnungen hatte ich unter dem Arm, und ich durfte sie mitnehmen in den Bus, der uns quer durch Berlin chauffierte. Nur dass er im Gegensatz zum normalen Reisebus Schlitze statt richtiger Fenster hatte.
Im Kriminalgericht gab es geheimnisvolle Gänge, durch die nie ein Besucher ging. Ich wusste, dass die Gefangenen getrennt vom normalen Publikum durch das gesamte Gebäude geführt werden konnten. Als Mann konnte es einem passieren, dass man direkt aus dem Gerichtssaal in die Untersuchungshaftanstalt gebracht wurde. Ohne Kontakt zur Außenwelt. Obwohl das Gebäude schon über hundert Jahre alt war, kamen heute noch ausländische Delegationen von Justizbeamten, die sich diese raffinierte Konstruktion demonstrieren ließen.
Ich wurde durch einen Innenhof in den Vorführtrakt gebracht. Zusammen mit anderen, die ihre Termine Stunden vor mir hatten. Toll. Noch einmal las ich meine Aufzeichnungen durch, um sicherzugehen, dass ich nichts vergessen hatte.
Das Verhandlungszimmer, in das sie mich führten, war vergittert. Kein Arbeitsplatz, an dem ich mich wohlgefühlt hätte. Die Wände hätten auch schon vor zehn Jahren mal eine frische Renovierung vertragen können. Das blasse Grün war von Schmutz, Ruß und Rauch verschattet. Es gab einen Platz für den Beschuldigten, mit einer Art Zaun davor. Als ich hineingeführt wurde, sah ich vor mir den Rücken von Dr. Krawczyk.
Als er sich zu mir umwandte, erhellte sich sein Gesicht, und mein Herz wurde plötzlich so unerklärlich leicht. Verdammt. Hatte Dana Kanther recht? War er ein Womanizer? Er trug einen Anzug in einer sehr modischen Schattierung zwischen Mauve und Grau und ein weißes Hemd. Mit einem bewusst distanzierten Lächeln gab er mir die Hand und drückte meine fest, als wolle er mir Mut machen. Ich nickte.
Dieser Richter hier war kein Berufsanfänger mehr. Die Art, wie er mich ansprach und über meine Rechte belehrte, war äußerst routiniert, aber nicht unfreundlich. Als er in der dicken Akte blätterte, wurde ein Tattoo an
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