Herzgespinst - Thriller
Ich hatte solche Schmerzen, deshalb hat er mich zur Apotheke gebracht.«
Oliver verzog das Gesicht. »Ich habe gleich gesagt, die Idee mit dem Piercing ist bescheuert.«
Julia grinste. »Wieso? Sieht doch sehr cool aus. Luis ist mal bei den Sanitätern gewesen, ich war also in besten Händen.«
Sie musterte Olivers muskulösen nackten Oberkörper. »Machst du Krafttraining oder was?« Ihre Stimme konnte die Bewunderung nicht verbergen, mit der sie das sagte.
Oliver wirkte auf einmal verschlossen. »Ich habe es dir schon heute Vormittag gesagt. Die Bierkästen, die ich stemme, sind echt nicht ohne.«
Er versorgte ihren Nabel. Dann zog er sein feuchtes T-Shirt wieder an.
»Nimm dich in Acht«, sagte er. »Die Jungs sind es gewohnt, dass ihnen die Mädchen die Bude einrennen. So eine bist du doch nicht.«
Julia ergriff einen Zipfel seines Shirts und zog ihn an sich. »Eifersüchtig?«, fragte sie kokett.
»Unsinn. Jetzt wirst du wieder nervig«, antwortete Oliver hart. »Ich mag es nicht, wenn du so redest.« Er drückte ihr das Spray in die Hand.
»Ich geh wieder rauf und leg mich hin. Ich habe heute Nachtschicht, da muss ich fit sein. Und Tom will so bald wie möglich mit den Proben anfangen. Er sucht nur noch eine geeignete Halle.«
Er schob ihre Hand von seinem Shirt weg.
»Deine Typen haben bereits eine geeignete Location«, antwortete Julia. »Eine Garage in der Neubausiedlung. Tom macht heute den Vertrag klar.«
Oliver sah sie fassungslos an. »Woher weißt du das schon wieder?«
Er wartete nicht auf eine Antwort. »Nein, lass mich raten: von deinem neuen Verehrer, Luis. Mach, was du willst, ich bin nicht dein Babysitter.« Er sah sie fest an.
Julia hielt seinem Blick tapfer stand. Nur ein einziges Mal zwinkerte sie kurz und es sah so aus, als würde eine Träne in ihrem Auge aufblitzen.
Das brachte Oliver wieder zur Besinnung.
»Sorry«, sagte er unglücklich. »Ich wollte mich nicht mit dir streiten, Julia.«
Er sah sie entschuldigend an. »Ich mache mir nur Sorgen um dich und will dich beschützen oder so was Albernes. Weil …« Er schluckte. »Wir haben doch beide keinen Vater mehr, aber du bist irgendwie so zart und ich habe Angst, dass du zerbrechen könntest oder dass jemand dich schrecklich verletzt und dann müsste ich ihn vermutlich umbringen. Und das will ich nicht. Also, beides will ich nicht. Verstehst du überhaupt, was ich damit meine? Nein, das Gefasel kapiere ja nicht mal ich selber.« Er fuhr sich verzweifelt mit der Hand durch die Haare. Er sah sie hilflos an und spürte, wie ihm Tränen hochstiegen.
Julia schrie auf und fiel ihm stürmisch um den Hals.
»Oliver«, flüsterte sie. »Noch nie hat jemand so etwas Süßes zu mir gesagt. Auf der ganzen Welt nicht. Das werde ich nie mehr vergessen. Ich habe dich lieber als …« Sie suchte krampfhaft nach einem passenden Vergleich. »… viel lieber als Fredo«, sagte sie schließlich. »Wir bleiben ewig zusammen. Unser ganzes Leben. Versprichst du mir das?«
Ihre Wangen glühten plötzlich vor Hitze.
Oliver drückte Julias heißes Gesicht an sich. »Fest versprochen«, sagte er heiser. »Wie Brüderchen und Schwesterchen aus dem Märchen. Für immer und für alle Ewigkeit.«
Danach sprachen sie nicht mehr. Eng umschlungen liefen sie zurück und Julia fuhr auf ihrem Fahrrad nach Hause, während Oliver in sein Zimmer ging, um bis zu seiner Nachtschicht in der Roten Sonne noch ein paar Stunden zu schlafen.
Auf seinem Bett lag immer noch der Marinepullover. Er schmiegte sich an die kratzige Wolle und versuchte sich das Gesicht von Julias Vater vorzustellen. In der letzten Zeit war ihm das immer schwerer gefallen.
Der Pullover duftete zart wie Jasmin, nach Julias Haaren. Überraschend tauchte dazwischen ein rauer Geruch nach Moos und Erde auf. Oliver war nicht sicher, ob es der Pullover war, der immer noch nach Julias Vater roch oder ob Julia der Auslöser gewesen war, dass er sich plötzlich wieder an alles erinnerte.
Er spürte ein warmes Gefühl für Julia in sich aufsteigen. Aber diese Empfindung hatte nichts mit Begehren zu tun. Julia gehörte zu ihm, sie war ein wichtiger Teil seiner Vergangenheit und mit ihrer Hilfe würde er ihren Vater niemals vergessen.
Alles, was er ihr heute gesagt hatte, stimmte. Er wollte sie beschützen, sie vor Dummheiten bewahren, vor ihrer eigenen Spontaneität.
Dieser Luis hatte ihr anscheinend schöne Augen gemacht und Julia war gerade in der Stimmung, sich den Kopf verdrehen zu lassen.
Weitere Kostenlose Bücher