Herzgesteuert: Roman (German Edition)
mich mithilfe eines Gummiknüppels zu verscheuchen, als ich plötzlich den einen der beiden Sicherheitsbeamten hinter der Schleuse rufen höre: »Frau Hempel? Sind Sie das?«
Erschrocken fahre ich herum. Der Uniformierte steigt breitbeinig über eine Absperrung, woraufhin sofort der Alarm losgeht.
»Frau Hempel! Sie erkennen mich nicht mehr?!«
»Ähm … Ehrlich gesagt, war ich noch nie hier«, sage ich so harmlos wie möglich.
»Ich bin’s! Joachim Tacke! Sie haben mir vor zehn Jahren das alte Bauernhaus am Irrsee vermietet! Ich bin dort total glücklich und in meiner Freizeit ein richtiger Bauer geworden! Ich habe Kühe, Hühner und sogar ein Schwein …«
»Oh«, sage ich und reibe mir verlegen die Nase. »Da habe ich aber Schwein.«
»Karli, lass die Frau durch«, sagt Joachim Tacke in Richtung Glaskabine. »Die Frau ist in Ordnung. Ich mach das hier.«
28
K urz darauf finde ich mich in einem öden, grün verputzten Warteraum wieder, an dessen Wänden viele unleserliche Schmierereien zu sehen sind. Der freundliche Bauer vom Irrsee ist durch mehrere Sicherheitstüren verschwunden, um Georg aus seiner Zelle zu holen.
Mir klopft das Herz bis zum Hals. Ich sehe mich in dem schmucklosen Raum um. Kein Zahnarzt-Wartezimmer kann trostloser sein: Fünf oder sechs Plastikstühle stehen an der Wand aufgereiht, im Hintergrund befinden sich kleine Schließfächer, in denen der Besucher gefälligst seine Habseligkeiten zu lassen hat, vor allem Rauschgift, Waffen, Messer oder Handys.
Was mir am meisten zu schaffen macht, ist diese armselige Plastikkiste mit lieblos zusammengewürfeltem, kaputtem Spielzeug. »Die Anstalt übernimmt keine Haftung für eventuelle Unfälle mit diesem Spielzeug. Eltern haften für ihre Kinder!«
Außer mir sitzt noch eine dicke Frau mit Brille, Kopftuch und groben wollenen Strümpfen da. Sie macht einen leicht debilen Eindruck und grinst mich kumpelhaft an.
»Na? Tun Se auch Ihren Mann besuchen?« In ihrer Stimme liegt etwas Weinerliches. Kann aber auch sein, dass sie einfach nur besoffen ist. »Wat hatter denn aufm Kerbholz?«
Oh, das werde ich hier lieber nicht sagen. Da lasse ich mich besser auf gar nichts ein. Ich ringe mir ein knappes Lächeln ab und schweige. Solange man nicht durchblickt, denke ich, sollte man besser die Klappe halten.
Eine junge Frau mit einem quengeligen Kleinkind, dessen Rotznase dringend nach einem Taschentuch schreit, schlurft auch noch herein. Das Kind steckt in einem viel zu dicken Anorak und hat ein Ekzem im Gesicht. Die Frau lässt es auf den schmuddeligen Fußboden gleiten und reißt die Kiste mit dem Plastikspielzeug aus dem Regal. Sie schüttet den Inhalt lieblos dem Kind hin und lässt sich auf die Wartebank fallen, wo sie sofort eine SMS in ihr Handy hackt.
Wo bin ich hier nur hineingeraten?
Was tue ich hier?
Mit welchen Leuten verbringe ich meinen Sonntagmorgen?
»Meiner sitzt jetzt seit sieben Jahren in Haft«, teilt mir die Schlichtgestrickte ungefragt mit. »Wegen bewaffneten Raubüberfalls.«
Sie blickt mich stolz an. »Und ich habe jetzt sieben Jahre auf ihn gewartet.«
Ich bin beeindruckt. Toll. Da habe ich ja noch was vor mir.
Allerdings: Auf Georg warte ich keine sieben Minuten mehr!
»Und jetzt tun wir im Gefängnis heiraten.« Die Trulla strahlt mich an und entblößt ein paar völlig schiefe, gelbe Hexenzähne. »Ich war ihm immer treu.«
Na gut, denke ich. In deiner Situation sicher auch keine Meisterleistung.
Das Kleinkind nörgelt und steckt einen schmutzigen Legostein in den Mund. Die Mutter nimmt ihn wieder heraus und widmet sich ihrem Handy.
»Wir haben uns über dreitausend Briefe geschrieben«, fährt die lang Verlobte fort. »Er war nämlich bis jetzt im Hochsicherheitstrakt.«
»Donnerwetter«, gebe ich mich beeindruckt.
»Aber jetzt kann ich ihn besuchen. Einmal in der Woche. Da mache ich mich extra für ihn schick.«
»Toll.« Ich ringe mir ein scheues Lächeln ab.
»Da könnten Sie ein Buch drüber schreiben, über unsere Liebesgeschichte.«
Ich sehe nur kurz zu ihr hinüber und nicke. Dann blicke ich angestrengt an die Wand und lese die Zettel, die da hängen: »Gemeinsamer Gottesdienst mit Inhaftierten und deren Angehörigen! Jeden dritten Sonntag im Monat um 8 Uhr 30!« – »Gefängniszahnarzt: jeden ersten Montag im Monat. Nur mit Versicherungskarte.« – »Hilfe bei Gewalt in den Zellen: Bruder Anselm ist über die Notrufnummer … zu erreichen.«
Mich schaudert. Ich wende mich der anderen Wand
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