Herzgesteuert: Roman (German Edition)
Schritte, als mich eine schnarrende Stimme erschreckt: »Bitte, Sie wünschen?«
Eingeschüchtert zucke ich zusammen.
Rechts von mir entdecke ich plötzlich eine gläserne Kabine, in der ein uniformierter Beamter an einer Tischplatte sitzt. Im Hintergrund sehe ich acht Monitore, die jeden Gang und jedes Tor des Gefängnisses im Visier haben. Der Mann hat mich also längst gesehen. Er hat seine hellbraunen Haare exakt auf Seitenscheitel gekämmt und trägt einen Schnauzbart. Er taxiert mich aus stahlgrauen Augen und lässt sich zu keiner freundlichen Begrüßung hinreißen. Von wegen: Guten Morgen, junge Frau, so einen netten Anblick haben wir ja nicht alle Tage, was kann ich für Sie tun? Also bin ich wohl an der Reihe.
»Ähm … hallo, erst mal … Ich weiß nicht, ob Sie es schon wissen, aber ich war noch nie in einem Gefängnis.« Er lacht nicht. Kein bisschen. Okay, okay. Nur keine Panik. Den kriege ich schon weich. »Tja. Ähm.« Ich zupfe verlegen an meinem Ohr. »Ich möchte gern jemanden besuchen.«
»Name?!«
»Welcher? Meiner oder der des Häftlings?«
Der Beamte scheint heute Morgen noch nicht zum Scherzen aufgelegt zu sein.
»Ausweis!?«, schnarrt er wieder, und ich beeile mich, meinen Pass hervorzukramen. Dann lege ich ihm schnell meine knallrote Visitenkarte mit der Aufschrift: »Immobilien Glücksgriff, Leben im Paradies« dazu.
Er betrachtet beides wie zwei ekelhafte Insekten und schaut mich noch unfreundlicher an: »In welcher Angelegenheit?«
»Wie … oh, nicht dass Sie glauben, ich wollte diese Immobilie erwerben oder hätte einen Kaufinteressenten …« Ich lache verlegen und drehe eine Haarsträhne um den Finger. Mann, der Kerl geht wohl zum Lachen in den Keller. Oder besser: in den Kerker. »… kleiner Scherz, hähä … ich möchte jemanden besuchen.«
Er starrt mich unwillig an, als warte er auf ein weiteres Stichwort.
Ich schaue auf die Armbanduhr: »Es ist doch Besuchszeit, oder habe ich da was falsch verstanden?«
»Name?!«, schnarrt er wieder.
»Hempel. Juliane Hempel.«
» Wen wollen Sie besuchen?!« Der Mann kann ja richtig böse werden!
»Oh … ach so, ja klar, das muss man ja am Eingang schon entscheiden …«
Ich sehe mich suchend um, ob mich auch keiner belauscht, und wende mich dann vertraulich der Glasscheibe zu: »Georg. Ich möchte Georg besuchen.«
»Georg Wer?«
»Den Nachnamen weiß ich nicht. Aber er ist erst vor Kurzem hier eingeliefert worden. Also er ist ungefähr sooo groß und so um die vierzig. Er hat meistens eine Mütze auf und na ja … einen Einkaufswagen dabei, und er hört gerne Bruckner.« Ich meine, so viele von der Sorte können die doch nicht beherbergen hier.
Der Beamte blättert in einer Liste: »Sie müssen mir schon den Nachnamen sagen.« Das Knistern seiner Papiere kommt durch den Lautsprecher sehr deutlich bei mir an.
Wieder einmal wird mir klar, dass ich von Georg so gut wie gar nichts weiß. Noch nicht mal, wie er mit Nachnamen heißt.
»Also, so viele Georgs können doch gar nicht hier eingecheckt haben«, versuche ich einen zweiten Anlauf.
»Wenn Sie seinen Nachnamen nicht wissen, haben Sie keine Chance.« Entsetzt starre ich ihn an.
Der Beamte weist wieder Richtung Ausgang. Nicht, dass ich nicht gern das Weite suchen würde, aber …
Nee. So geht das nicht. So kann ich Fanny nicht unter die Augen treten.
Jetzt, wo ich schon einmal hier bin, besuche ich auch Georg.
Da muss man gelassen bleiben, der Mann tut auch nur seine Pflicht.
»Es handelt sich um den Obdachlosen, der wegen einer angeblichen Vergewaltigung inhaftiert wurde«, stoße ich zwischen den Zähnen hervor. »Sein Name ist Georg. Und er ist hier drin!«
»Keine Chance. – Außer Sie wären Anwältin.«
»Rede ich undeutlich oder was? Habe ich je behauptet, Anwältin zu sein? Ich habe gesagt, dass ich jemanden besuchen will, und jetzt ist Besuchszeit!« Ich rede mich in Rage. Langsam fange ich an zu keifen wie Christiane. »Der Mann ist unschuldig, und er hat ein Recht darauf, Besuch zu empfangen. Ich habe auch keine Feile oder so was dabei, Sie können meine Handtasche gern kontrollieren! Ich will nur mit ihm reden ! Wir sind doch ein Land, in dem die Menschenwürde noch was gilt«, fahre ich ein wenig wirr fort, »und die Würde des Menschen ist unantastbar!«
Ich verspüre den unbändigen Drang, dem Mann eine reinzuhauen. Aber das geht schon mal wegen der Glasscheibe nicht. Der Kerl macht gerade Anstalten, aus seinem Kabäuschen herauszukommen und
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