Herzgesteuert: Roman (German Edition)
Familie! Der Wärter, der heute Dienst hat, zieht sich diskret einen Schritt zurück, als Georg auf seinem Stuhl Platz nimmt und Fanny freudig überrascht anlächelt.
»Hallo, Fanny! Wie lieb von dir, dass du mitgekommen bist!«
Fanny starrt Georg durch die Glasscheibe an. Sie ist ganz blass, und ich fühle, wie ihr Knie zittert. Hoffentlich mute ich meinem Mädchen nicht zu viel zu?!
»Wie geht es dir?«, fragt Fanny verschüchtert. »Ist es auszuhalten?«
»Seit ich in einer Einzelzelle bin, ist es wunderbar«, beruhigt Georg sie lächelnd. »Am Anfang hatte ich ein bisschen Stress. So wie wenn man neu in einer Klasse ist und alle tricksen einen aus. Das kennst du ja bestimmt …«
Er wirft mir einen kurzen Blick zu, und ich begreife.
»Die anderen können ganz schön gemein sein«, sagt er erklärend zu Fanny.
»Aber langweilst du dich nicht in deiner Einzelzelle?«, fragt Fanny, und endlich kehrt etwas Farbe in ihr Gesicht zurück.
»Im Gegenteil! Sie haben hier eine Bibliothek, und ich habe mir schon ein paar interessante Bücher ausgeliehen! Man kann hier sogar ein Fernstudium machen! Außerdem darf ich fernsehen, obwohl ich das gar nicht möchte.«
»Wir haben dir einen Kassettenrekorder mitgebracht!« Eifrig fummelt Fanny in ihrem Jutesack mit der Aufschrift »Ohne dich ist alles doof«, den sie extra für Georg gepackt hat. »Und ein paar klassische Kassetten, die Mama noch auf dem Dachboden gefunden hat. Bruckner und Bach und so was.«
»Ein paar Gurkenbrote sind auch dabei«, sage ich und zeige auf die Tasche.
Wir wissen nicht, wie wir ihm unsere Gaben überreichen sollen, aber der Wärter, der alles aus den Augenwinkeln beobachtet hat, macht uns ein Zeichen, wir sollen es am Eingang abgeben. Fanny erhebt sich sofort. Wahrscheinlich ist sie ganz erleichtert, dass sie ein paar Schritte rennen darf.
»Georg, ich habe den besten Anwalt der Stadt«, zische ich verschwörerisch, als der Wärter sich erhebt und Fanny entgegengeht, die die Tasche zum Durchsuchen bringt. Ohne recht fassen zu können, was ich hier tue, raune ich: »Wir haben auch schon einen guten Plan, wie wir dich hier rauskriegen!«
»Aber eine Feile habt ihr mir nicht mitgebracht?«, sagt Georg und lächelt mich auf einmal so warmherzig an, dass ich ganz weiche Knie bekomme. »Du weißt gar nicht, was für ein riesengroßes Herz du hast.«
O nein. Keine. Vertraulichkeiten. Mehr. Ich bin einfach nur herzgesteuert. Ganz bescheuert herzgesteuert. Sachlich bleiben, Juliane.
»Georg, dieser Anwalt besucht dich heute noch, um alles mit dir durchzusprechen! Er ist gerade bei Gericht und spricht mit dem Staatsanwalt. Er will diese Vicki zwingen, sich im Krankenhaus untersuchen zu lassen! Wenn sie deine DNA-Spuren nicht finden, müssen sie dich laufen lassen!« Ich spüre, wie ich knallrot anlaufe. In diesem Moment durchzuckt mich nämlich der irrwitzige Gedanke, dass sie seine DNA-Spuren bei mir finden würden. Bei mir . Ich vergrabe das Gesicht in den Händen. O Gott. Wo bin ich hier nur reingeraten? Ich möchte meinen Kopf am liebsten an die Scheibe oder noch besser an seine Brust sinken lassen, aber das geht auf keinen Fall. Er passt nicht zu mir. Er ist nichts für mich. Wir leben in zwei verschiedenen Welten. Nie und nimmer kann aus uns etwas werden. Wie gut, dass die Scheibe zwischen uns ist.
Endlich kann ich mich wieder fangen, und ich flüstere mit halbwegs fester Stimme: »Halte durch, Georg! Du bist in guten Händen!«
»Ich weiß, dass ich bei dir in guten Händen bin.«
»Nicht bei mir! Bei ihm ! Er heißt Dr. Falk Hu…«
»Warum tust du das für mich, Juliane?«, flüstert Georg und legt seine Hand an die Glasscheibe, dass ich fast das Gefühl habe, dass er meine Lippen berührt.
Ich zucke zurück. »Wehe, du sagst jetzt wieder, dass ich dich loswerden will!«
»Das sage ich nie wieder, Juliane. Es tut mir leid. Du bist so eine großartige, ungewöhnliche und mutige Frau.« Ich muss den Blick senken. O nein. Ich bin keine großartige und mutige Frau. Ich bin … einfach nur total durch den Wind. Sein Blick geht mir so unerträglich nahe, trotz oder gerade wegen dieser Glasscheibe, dass ich anfange zu faseln.
»Also, es ist nicht so, dass ich dich loswerden will, ich meine, ich will dich natürlich los … ach Quatsch, ich will dich freikriegen. Aber danach müssen wir wirklich schauen, was aus dir wird. Es ist nämlich so, dass …« Meine Stimme ist ein bisschen zu schrill. Ich weiß nicht, wo ich hinschauen soll.
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