Herzgesteuert: Roman (German Edition)
während seine schönen ringlosen Finger schon wieder im Strafgesetzbuch blättern. Ich bin ganz hin- und hergerissen. So ein schöner Mann! Sollten meine Gefühle für Georg schon wieder verfliegen? Waren sie wirklich nur aus Mitleid gespeist?
Falk Huber hat die Stelle gefunden. Er sieht mir direkt in die Augen: »Hier. Paragraf 297. Verleumdung. Wer einen anderen dadurch der Gefahr einer behördlichen Verfolgung aussetzt, dass er ihn einer von Amts wegen zu verfolgenden mit Strafe bedrohten Handlung oder der Verletzung einer Amts- oder Standespflicht falsch verdächtigt, ist, wenn er weiß, dass die Verdächtigung falsch ist, mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr, wenn die fälschlich angelastete Handlung aber mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht ist, mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen. Nach Absatz 1 ist nicht zu bestrafen, wer freiwillig die Gefahr einer behördlichen Verfolgung beseitigt, bevor eine Behörde etwas zur Verfolgung des Verdächtigten unternommen hat.«
»Die beseitigt gar nichts freiwillig«, stelle ich klar.
»Das Problem ist, dass sie noch keine vierzehn ist«, sagt Falk Huber und schaut mich aus seinen grauen Augen ernsthaft an. »In diesem Fall wird es bei Gericht zu einer kontradiktorischen Vernehmung kommen.«
»Kontra … wie?«
»Hier. Paragraf 165. Bei der Vernehmung eines Zeugen ist in seinem Interesse, besonders mit Rücksicht auf sein geringes Alter oder seinen seelischen oder gesundheitlichen Zustand … und so weiter … die Gelegenheit zur Beteiligung derart zu beschränken, dass die Beteiligten des Verfahrens und ihrer Vertreter die Vernehmung unter Verwendung technischer Einrichtungen zur Wort- und Bildübertragung mitverfolgen und ihr Fragerecht ausüben können, ohne bei der Befragung anwesend zu sein. Insbesondere wenn der Zeuge das vierzehnte Lebensjahr noch nicht erreicht hat, kann in diesem Fall …« Er hebt den Blick. »Verstehen Sie das?«
»Nein.«
»Schauen Sie …« – er nimmt ein leeres Blatt Papier und zeichnet mir die Gerichtssituation auf – »… hier sitzt das Mädchen. Daneben …« – seine gepflegten schlanken Finger zeichnen mit dem goldenen Edelkuli behände ein paar Strichmännchen – »… sitzt die Person ihres Vertrauens. Ihre Mutter oder ihre Psychologin. Oder die Charlotte Sandmann von der Sitte.«
Frischer Optimismus durchflutet mich. »Das halte ich für das Beste«, murmele ich beeindruckt.
»Hier …« – er zeichnet eine Wand und einen kleinen Kasten – »… ist eine Kamera, die das Gespräch aufzeichnet, und im Gerichtssaal sitzt Ihr …« – er wirft mir einen prüfenden Blick zu – »… Bekannter.« Sein Blick ruht auf mir.
» Flüchtiger Bekannter«, stelle ich klar.
»Ihr flüchtiger Bekannter.« Er zuckt die Achseln und zeichnet ein weiteres Strichmännchen mit Bart, langen Haaren und einem Einkaufswagen. Ich muss fast ein bisschen kichern, weil ich das so witzig finde. »… und dessen Anwalt …« Wieder trifft mich sein Blick aus stahlgrauen Augen, und einen Moment lang setzt mein Herz aus.
Was wird das denn jetzt? Ich werde mich doch von ihm nicht durcheinanderbringen lassen!
»Zeichnen Sie sich nicht zu schön!«, sage ich bestimmt und trinke einen Schluck Kaffee. Schon besser. Schon viel besser. Langsam beginnt mir die Sache Spaß zu machen.
Sein Lächeln verrät eine winzige Spur Amüsement.
»Und wir verfolgen das Ganze auf einer Leinwand. Über ein Mikrofon kann ich der Psychologin vorschlagen, welche Fragen sie dem Mädchen stellen soll.«
»Und welche Fragen werden das sein?« Ich fühle mich auf einmal ein wenig unsicher.
»Das überlassen Sie am besten mir«, lächelt der Anwalt. »Und jetzt besorge ich Ihnen erst mal eine Besuchserlaubnis für Ihren … flüchtigen Bekannten. Damit Sie nicht jedes Mal bei der Gefängnisdirektion aufmarschieren müssen.« Er lächelt mich plötzlich ziemlich erheitert an: »Was Sie sich in den Kopf setzen, das ziehen Sie auch durch, was?«
»Klar«, antworte ich keck. »Sie nicht?«
32
A m nächsten Tag besuchen wir Georg gemeinsam, Fanny und ich. Mir wird ein wenig mulmig, als ich wieder in diesem grässlichen Besucherraum vor der Scheibe hocke. Die Luft hier drin ist zum Schneiden.
So ein verrücktes Gefühl! Da sitzen wir, Pobacke an Pobacke, auf einem Stuhl vor der Glaswand, Fanny umklammert ängstlich meine Hand, und Georg wird auf der anderen Seite hereingeführt. Wir müssen ja wirken wie eine
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