Herzgesteuert: Roman (German Edition)
Penner.«
»Aber du und deine Clique, ihr trinkt ja auch schon gern mal Bier?!«, sagt Charlotte an Vicki gewandt.
Vicki zuckt mit den Schultern und schweigt.
Der Stofffetzen wird nun auf den Tisch gelegt, und ich kann ihn genau sehen.
Mein Herz setzt aus: Das ist doch … von meinem Chanel-Kostüm! Das ich in Kitzbühel anhatte! An dem Abend des 19. September! Als der Kerl am Bahnhof die Bierdose nach mir geworfen hat!
Auf der Rückfahrt trug ich es ja wieder, halbwegs gereinigt, aber noch zerknittert, und ich hatte es auch noch an, als ich Georg den Geldkoffer in den Wagen steckte! Da bin ich doch ganz tief unter die Trauerweide gekrabbelt, damit mich niemand sehen kann! Auf einmal erinnere ich mich wieder an das ratschende Geräusch, als ich an einem spitzen Ast hängen blieb!
Das darf doch nicht wahr sein! Dass dieses kleine Biest jetzt meinen Stofffetzen als Beweis für ihre angebliche Vergewaltigung missbraucht!
Wie gut, dass man nicht Georgs Spuren daran gefunden hat, denke ich aufatmend. Das hätte um ein Haar passieren können. Und dann wäre Georg wirklich dran gewesen! Schon beim Gedanken daran dreht sich mir der Magen um.
»Wir haben dich ja inzwischen im Krankenhaus untersuchen lassen«, sagt Charlotte sanft zu Vicki, »und festgestellt, dass du schwanger bist.«
Bingo. Deshalb also der ganze Aufstand. Sie muss abtreiben und weiß nicht, wie sie es ihren Eltern sonst erklären soll. Georg ist das ahnungslose, unschuldige Opfer.
Ich weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll. Oder beides. Mein Blick gleitet zu Georg und Falk hinüber, die nun angeregt miteinander flüstern. Georg schüttelt immer wieder fassungslos den Kopf, Falk macht sich Notizen.
Der Richter, die Beisitzer und die Protokollantin starren unterdessen weiter auf die Leinwand, wo man sieht, wie sich Vicki windet.
»In der wievielten Woche bist du jetzt?«
»In der neunten.«
»Und du möchtest das Kind wirklich nicht bekommen?!«
»Von einem Penner ?«, schreit Vickis Mutter. »Ja, wollen Sie unsere Familie endgültig in den sozialen Abgrund stürzen? Wissen Sie eigentlich, durch welche Hölle wir alle gehen, seit die arme Vicki vergewaltigt worden ist?«
Ich sehe, wie Georg zusammenzuckt und wie Falk ihm den Arm auf die Schulter legt. Vickis Mutter kann gar nicht mehr aufhören zu schreien und zu heulen.
Automatisch ducke ich mich. Das hier ist alles so bizarr! Da ist das kleine Biest also wirklich schwanger. Und sie braucht jetzt einen Schuldigen. Nur mit dieser Nummer kommt sie durch. Aber irgendwas ist faul.
Alle meine Sinne sind in Alarmbereitschaft. Noch nie war mir dermaßen unbehaglich zumute. Ich hole ein paarmal tief Luft, um mich für das Kommende zu wappnen.
Vickis Mutter krallt die Finger so in die Kleenex-Tücher, als ob sie jemanden entmannen wollte.
»Dieser Mann gehört hinter Schloss und Riegel«, schreit sie unter Verzweiflungstränen, »und zwar für den Rest seines Lebens! Er hat das Leben meiner Tochter zerstört, und ein Ungeborenes hat er bald auch noch auf dem Gewissen! Mit diesem Mord müssen wir nun weiterleben!«
»Vielleicht wird es gar nicht zu einer Abtreibung kommen«, sagt Charlotte Sandmann beruhigend. »Ab der elften Woche lässt sich die Vaterschaftsfrage medizinisch klären. Bitte denk also darüber nach, ob vielleicht nicht doch ein anderer Mann infrage kommt.«
»Wer sollte denn da infrage kommen!«, kreischt die Mutter. »Ich glaube meiner Vicki! Die hat mich noch nie angelogen!«
Mir rast das Herz. Ich kann mich nicht bewegen. Das Ganze kommt mir vor wie ein schlechter Film. Aber ich kann ihn nicht wegzappen!
»Worauf warten Sie denn noch? Wir haben doch Beweise genug! Meine Tochter wurde vergewaltigt! Hier ist der Stoff von ihrer Unterwäsche, den Sie am Tatort gefunden haben! Und das Datum stimmt doch genau mit dem Stand der Schwangerschaft überein!«
Die Richter stecken nun auch die Köpfe zusammen, diskutieren und nicken, und die Protokollantin tippt mit fliegenden Fingern.
Mir klebt die Zunge am Gaumen. Das sieht nicht gut aus. Gar nicht gut.
Falk! So tu doch was! Wofür bezahle ich dich denn! Du bist doch ein Staranwalt!
Georg ist leichenblass geworden. Er schüttelt nur immer wieder stumm den Kopf, aber die Richter scheinen ihm nun endgültig nicht mehr zu glauben.
Plötzlich wird mir siedend heiß. Der Schweiß steht mir auf der Oberlippe.
Georg könnte jetzt sagen, dass er an dem Abend in Kitzbühel war. Mit mir . Er könnte mich als Zeugin vorladen lassen.
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