Herzgesteuert: Roman (German Edition)
Dann müsste ich hier Farbe bekennen.
Aber er tut es nicht. Er verrät mich nicht. Weil er weiß, dass er damit meinen Ruf zerstören würde. Meine Karriere. Meine ehrgeizigen Pläne.
Aber wie oft habe ich ihn verleugnet und verraten! Ich schäme mich so!
Falk spricht jetzt wieder in sein Mikrofon, Charlotte Sandmann nickt.
Vicki sitzt zusammengekrümmt da, ihr Gesicht hat sie in ihrem Schoß vergraben.
»Und bist du ganz sicher, dass du nicht mit deinem Freund geschlafen hast?«, fährt Charlotte Sandmann fort. »In einer Disco am Rudolfskai vielleicht? Da passiert es doch schon mal, dass sie einem Mädchen was ins Glas tun, und dann weiß es am Schluss gar nicht mehr genau, was passiert ist … Du musst wissen, Vicki, dass du mit deinen Aussagen einen Menschen sehr belastest.«
Vicki schüttelt den Kopf wie eine Marionette, an deren Fäden unsichtbar jemand zieht.
»Wenn du bei deiner Aussage bleibst, muss dieser Mann jahrelang ins Gefängnis. Das ist dir schon klar, nicht wahr?«
»Natürlich ist ihr das klar!«, schreit Vickis Mutter. »Und da gehört er auch hin!«
Vicki taucht mit ihrem Gesicht überhaupt nicht mehr aus ihrem Versteck auf. Sie wiegt nur ihren Oberkörper hin und her, wie ein verhaltensgestörtes Kind.
O mein Gott. So weit darf es nicht kommen! Irgendwas muss doch geschehen!
Georg scheint aufgegeben zu haben. Er hat den Kopf gesenkt und schaut nur noch auf seine Schuhspitzen. Er wirkt so verlassen, wie er noch nicht mal in der Besucherzelle im Gefängnis gewirkt hat. So von Gott und aller Welt verlassen!
Ich presse die Fäuste vor den Mund. Jetzt ist es an mir , die Wahrheit zu sagen! An mir ! Mein Herz zerrt an der Leine, die das Hirn immer noch mit aller Kraft festzuhalten versucht.
Warum zögere ich denn noch? Ich muss ihm doch helfen!
Aber ich bin offiziell gar nicht anwesend! Die Verhandlung ist nicht öffentlich! Falk kommt in Teufels Küche, wenn es herauskommt, dass er mich hier in den Nebenraum geschleust hat! Das kann ihn seinen Job kosten!
Und was es mich alles kosten wird …
Nein, ich kann nicht. Das letzte bisschen Verstand sagt mir, dass ich mich jetzt zusammenreißen muss, und hält meinem Herzen den Mund zu.
Falk! Du bist an der Reihe! Sag doch was! Du kassierst ein Megahonorar!
Na endlich!
Falk spricht wieder in sein Mikrofon, Charlotte Sandmann lauscht und gibt die Frage schließlich weiter. »An diesem Abend, am 19. September, als du zum Mathematik-Nachhilfeunterricht gegangen bist, wo war denn da dein Freund?«
»Jetzt lassen Sie meine Tochter doch endlich in Ruhe«, begehrt nun wie aufs Stichwort die Mutter auf. »Sie sehen doch, dass das Mädchen total am Boden zerstört ist! Sie haben doch alle Beweise – was zögern Sie dann noch, den Mann endlich hinter Schloss und Riegel zu bringen? Wir haben von Anfang an gewusst, dass er hinter kleinen Mädchen her ist, und wir haben alles versucht, ihn von dieser Bank wegzukriegen, aber die Polizei hat einfach zugeschaut und ihn gewähren lassen … Aber das wird ein Nachspiel haben, jetzt ist mir sowieso alles egal, ich gehe an die Presse, wenn Sie jetzt nicht endlich handeln …«
Endlich handeln. Endlich handeln. Endlich handeln!, dröhnt mir ihre hysterische Stimme in den Ohren.
Und plötzlich zerreißt die Kette, an der mein Herz angebunden war. Das Hirn lässt los und schaut fassungslos zu, wie ich aufspringe.
Wie ferngesteuert. Wie in Trance.
Ich weiß nicht, was ich tue. Wahrscheinlich träume ich das alles nur.
Aber ich tue es.
In meinem Kopf hämmert es wie verrückt.
Und ich hämmere auch. An die Scheibe. Mit beiden Fäusten. Ich hämmere und klopfe und brülle und schreie, und es ist mir ganz egal, wie verboten es ist, dass ich hier alles mit angehört und gesehen habe. Ich merke nur, wie mein Herz endlich seine alte Kraft zurückgewinnt. Und meine Stimmbänder erst!
Die Köpfe der Richter und Beisitzer und auch die Köpfe von Falk und Georg wenden sich der blinden Scheibe zu, hinter der ich stehe und Krach schlage.
Sie haben mich bemerkt.
Ich renne zur Tür, haste orientierungslos den Flur entlang, bis ich die Tür sehe, über der »Ruhe! Verhandlung läuft!« steht, und die reiße ich einfach auf. Mein eigenes Keuchen dröhnt mir in den Ohren.
Da sitzen sie.
Ich sehe eine Sekunde lang in Georgs gequältes Gesicht, seine Augen wirken leer, und ich schaue schnell wieder weg.
Falk beugt sich vor, sagt: »Kurze Unterbrechung« in sein Mikrofon und schaltet es dann ab.
Georg zuckt
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