Herzgesteuert: Roman (German Edition)
aber du hörst ja nie zu!«
»Kann Christiane …«
»NEIN!«
Okay. Ruhe bewahren. »Worum geht es denn?«
»Prozentrechnung und so’n Kack. Zinsen und Zinseszinsen, Netto und Brutto, Mehrwertsteuer, Konto oder Skonto und Rabatt und so ein Scheiß!«
Frustriert schleudert Fanny ihr Mathebuch von sich.
O Gott. Nicht schon wieder. Meine arme Fanny. Sie braucht mich.
Dabei weiß ich vor lauter Arbeit weder ein noch aus. Ratlos blättere ich in ihrem Aufgabenheft. »Erhöhter und verminderter Grundwert. Diätenerhöhung. Zahlungsvereinbarungen. Getreideproduktion in China. Berechne die Prozentsätze der Getreideproduktion in China, USA und Indien und die Weltproduktion in Prozent. 450 Millionen Tonnen.«
Meine Güte! Was müssen diese armen, unschuldigen Zwölfjährigen denn noch alles wissen?
»Mama, wenn ich diese Arbeit nicht schaffe, bleibe ich bestimmt sitzen.«
Ich werfe einen Blick auf die erste Probeaufgabe des Lernblatts.
»Im Jahr 2000 wurden 19552 Ehen rechtskräftig geschieden, das sind um 1040 mehr als im Vorjahr. Um wie viel Prozent haben die Scheidungen zugenommen?«
Diesen Rottweiler bringe ich höchstpersönlich um.
»Heute Abend lernen wir zusammen, das verspreche ich dir.«
»Aber du musst heute Abend zur Chorprobe!«
Allerdings. Ich liebe meinen Mozart-Chor. Immerhin singen wir bei den Festspielen mit. Im großen Festspielhaus. Das ist meine allergrößte Leidenschaft. Das lasse ich mir nicht entgehen. Da fährt die Eisenbahn drüber.
Es ist nämlich so, dass ich auf diese Weise Stars wie Anna Netrebko oder Riccardo Muti persönlich kennenlerne. Sämtliche Solisten der Festspiele, die ganz Großen. Und was brauchen die, wenn sie in Salzburg weilen?
Richtig. Eine passende Immobilie. Am See. Oder in exklusiver Stadtlage. Und was haben sie? Geld. Was aber haben sie nicht? Zeit.
Kurzum, sie brauchen mich, Juliane Hempel, Immobilien Glücksgriff . Natürlich muss ich zur Chorprobe.
Eine meiner Kolleginnen aus dem Mozart-Chor ist Mathematiklehrerin. Sie sitzt im Alt, gleich neben mir. Ich mag sie sehr. Sie heißt Andrea und hat gerade einen Leistungskurs.
So ein Glück aber auch!
Während der Chordirektor mit den anderen Stimmen probt, kritzeln Andrea und ich Formeln in unsere Zauberflöte.
»Der Prozentwert W berechnet sich, indem man den Grundwert G mit dem Prozentsatz p multipliziert und das Ganze dann durch 100 teilt«, wispert Andrea mir zu, als wäre das selbstverständlicher als Zähneputzen.
Mich befällt, gelinde gesagt, leichte Panik. Wenn ich das schon nicht kapiere, wie soll es mein Schmusekissen umklammerndes Kleinkind zu Hause dann schnallen?
»Es lebe Sarrastro, Sarrastro soll leben!«, schmettern wir zwischendurch. »Er ist es, dem wir uns mit Freuden ergeben! Stets mög er des Lebens als Weiser sich freun, er ist unser Abgott, dem alle sich weih’n.«
Wahrscheinlich hält dieser Rottweiler sich auch für einen weisen Abgott, denke ich zornentbrannt.
Aber der kriegt uns nicht klein.
Diesmal werde ich die ganze Nacht mit Fanny pauken. Es geht um Leben oder Tod. Jedenfalls fast.
Am nächsten Morgen blicken Fanny und ich mit glasigen Augen von unseren Mathematik-Aufgaben auf. Allein an der Aufgabe mit den Brillenkindern haben wir drei Stunden gebrütet.
»In einer Klasse von 20 Kindern tragen 25 Prozent Augengläser. Davon sind 60 Prozent Mädchen und 40 Prozent Buben.«
Ja.
Na und?!
Ich möchte den ganzen Blagen ihre Brillen um die Ohren hauen!
Bis wir rausgefunden hatten, dass von den fünf Brillenschlangen in der Klasse drei Mädchen und zwei Jungs waren, dämmerte bereits der Morgen!
Aber wir haben es rausgefunden. Wir haben nicht aufgegeben.
Fanny ist um Viertel nach sieben, ohne eine Sekunde geschlafen zu haben, zu ihrer Mathematikprüfung aufgebrochen. Ich habe ihr zwei Gurken-Vollwertbrote mitgegeben. Sie wird es schon schaffen.
7
F ür die Besichtigung mit dem Baden-Badener Unternehmer nimmst du das metallic glänzende Marccain-Kostüm, das sieht hammermäßig aus, total frech und doch elegant, für die Besichtigung mit der Dirigentenwitwe … wann ist das?«
»Gleich. Um zehn.« Ich trippele nervös von einem Bein auf das andere.
»Okay. Hab alles im Griff. Hier. Das altrosafarbene Jil-Sander-Kostüm!«
Monika lacht mich strahlend über die Schulter an, während sie schon in Richtung Umkleidekabinen vorausstöckelt. »Magst a Glaserl Prosecco?« Sie köpft den Prosecco und reicht mir von dem schäumenden Erfrischungsgetränk.
Ach, das
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