Herzgesteuert: Roman (German Edition)
an Loch neun und Loch fünfzehn auf. Für einen guten Zweck ist mir jeder Geldgeber willkommen. Das Büfett für die geladenen Gäste zahlt der Verein. Am Abend werden Fesselballons in den Himmel steigen, gegen 23 Uhr gibt es ein Feuerwerk, und außerdem stehen Limousinen für die Rückfahrt zur Verfügung.
»Wer hat Vorschläge?«, frage ich als diesjährige Vorsitzende in die Damenrunde. »Wer bedarf unserer Unterstützung?«
»Die Kunstgalerie am Mattsee«, schlägt Elvira vor. »Die Künstlerin ist eine ganz entzückende Dame und Festspielabonnentin, die immer neben meiner Mutter sitzt. Sie macht nur in Ton und arbeitet nur mit naturbelassenen Farben, sie könnte unsere Spende gut gebrauchen.«
Das finde ich auch. Die hört sich ungeheuer Not leidend und bedürftig an.
»Die jungen japanischen Geiger vom Mozarteum«, ruft Alexandra. »Die haben gerade ein Quartett gegründet, und für den Sommer planen sie ihre erste Europatournee.« Deren reiche japanische Eltern haben alle schon um Eigentumswohnungen für ihre Sprösslinge angefragt, denke ich. Sie werden auf ihrer Europatournee wohl kaum in Jugendherbergen nächtigen.
»Die Ballettschule vom Landestheater«, kommt der nächste Vorschlag. »Das sind alles Töchter von Ärzten, Rechtsanwälten und Unternehmern. Die wollen nächstes Jahr ›Schwanensee‹ von Tschaikowski aufführen und lassen dafür extra Kostüme schneidern. Mit echten Schwanenfedern!«
Wie bedürftig. Mir kommen die Tränen.
Während ich alles aufschreibe, nicke ich gespielt eifrig.
»Ja, das sind alles sehr überdenkenswerte Vorschläge. Noch andere Meinungen?«
Niemand meldet sich mehr. Ich räuspere mich und bringe dann vorsichtig vor: »Hat schon jemand mal an die … ähm … Penn…, ich meine, Obdachlosen gedacht?«
Verwirrtes Schweigen. Die Unternehmerschwestern starren mich an, als hätte ich gerade vorgeschlagen, dass wir uns alle gegenseitig den Rücken mit Honig einschmieren und dabei einen Kanon singen.
»Ähm … ich meine, da gibt es ja auch Handlungsbedarf«, stammele ich, wobei mir die Schamesröte ins Gesicht steigt. »Es gibt in unserer zivilisierten Welt immer noch Menschen, die kein Zuhause haben …«
Sofort entsteht Tumult im Saal. Allgemeine Ablehnung, Kopfschütteln und Gemurmel.
»Sandler? Die gibt es in Salzburg leider wie Sand am Meer!«
»Die sollen doch arbeiten!«
»Liegen nur dem Steuerzahler auf der Tasche!«
»Verunzieren den schönen Park, ein Schandfleck für unsere Stadt!«
»Versaufen sowieso alles!«
»Und außerdem: Wie sollen wir denn so was beim feinen exklusiven Lions-Club in Bad Ischl begründen?«
»Nein, das geht ja nun gar nicht für ein Charity-Golfturnier diesen Ranges. Es muss ja auch ein bisschen das Ross zum Reiter passen.«
»War ja auch nur so eine Idee«, murmele ich kleinlaut und blicke ins Leere.
Dabei ertappe ich mich, dass ich schon wieder an den Mann aus dem Park denke.
Wie es ihm wohl gerade geht?
Hat er für heute Nacht einen Unterschlupf gefunden?
Zieht er einsam mit seinem Einkaufswagen durch die Stra ßen? Und was geht in ihm vor, wenn er an morgen denkt?
Was ist in seinem Leben passiert, dass es überhaupt so weit mit ihm gekommen ist?
Und was ist es, das dieser Mann ausstrahlt, wenn nicht Ruhe, Gelassenheit, Zufriedenheit und … Glück?
Aber wie kann dieser Mensch auf alles verzichten, was mein Leben ausmacht, und dabei eine so selbstverständliche Lebensfreude ausstrahlen?
Hab ich etwa was falsch gemacht?
»Hallo? Juliane? Bist du noch bei uns?«, reißt mich Elvira aus meinen Gedanken. »Wir diskutieren gerade den Vorschlag, das Geld in eine Oldtimerrallye zu investieren, die dann wiederum einem guten Zweck dient!«
»Ja, das ist eine prima Idee«, antworte ich geistesabwesend.
»Wir könnten ein paar Prominente dazu bringen, mitzufahren. Natürlich brauchen die ein exquisites Catering und ein Luxushotel. Und natürlich muss die Klatschpresse dabei sein. Sonst machen die nicht mit.«
Ist das nicht alles ein oberflächliches, verlogenes, selbstherrliches Getue?
Charity, aber nur mit Presse?
Charity, aber nur mit Prominenten?
Charity, aber nur mit Luxushotel?
Wo schläft denn heute Nacht der Mann aus dem Park?
Und plötzlich komme ich mir selbst genauso oberflächlich vor.
»Mama, ich schreibe morgen meinen Mathetest, und ich kapiere gar nichts !«
Bitte nicht. Fernbedienung, wegzappen, ausschalten.
»Kind! Und das sagst du mir erst jetzt?«
»Das sage ich dir schon die ganze Zeit,
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