Herzgesteuert: Roman (German Edition)
ich so nicht gewollt!«
Diskret verlässt Trockenpflaume Claudia den Raum.
»Der Rottweiler sagt, er ist in Sicherheitsverwahrung, und die dicke Mathilde sagt, das ist nichts anderes als Knast!«
Ich räuspere mich, um den dicken Kloß im Hals loszuwerden: »Aber Liebes, der Mann ist jetzt bestimmt in einem schönen … ähm … Obdachlosenasyl.«
Mit Schwung schließe ich das Fenster und kehre aufgeregt zu meinem Schreibtisch zurück.
Inmitten meiner Hochglanzprospekte von Traumvillen und Privatresidenzen komme ich mir fürchterlich schäbig vor.
»Mama! Du warst doch auf dem Elternabend.«
»Da hast du recht«, gestehe ich. Ach, wäre ich doch bloß nicht hingegangen und hätte eine lebensbedrohliche, ansteckende Krankheit vorgeschützt!
»Und da habt ihr gegen ihn abgestimmt!« Fannys Stimme überschlägt sich vor Erregung.
»Ja, das haben wir. Das heißt, die anderen.« Ich räuspere mich verlegen. Es ist immer jämmerlich, sich damit rauszureden, dass man selbst gar nichts gemacht hat.
»Du willst doch nicht etwa behaupten, dass du nicht gegen ihn abgestimmt hast!« Fanny ist unnachgiebig. »Hast du ihn etwa in Schutz genommen, na?«
Ich ringe nach Worten. Tapfer schlucke ich mein schlechtes Gewissen herunter.
In dem Moment schiebt sich der weiße Blusenkragen von Trockenpflaume Claudia schon wieder ins Zimmer. Sie macht mir ein Zeichen, dass der Interessent für die Hausbesichtigung in Aigen jetzt da ist: »Nicht jetzt, ich bin am Telefon! Kümmern Sie sich um ihn, und legen Sie ihm schon mal die Baupläne vor!«
»Nie hörst du mir zu, nicht eine Minute!«, schreit Fanny böse.
Ich atme tief durch.
»Fanny, was ich dir jetzt sage, musst du mir glauben! Ich habe nicht gegen den Penner gestimmt! Die anderen vielleicht, aber ich nicht !«
»Ich glaube dir gar nichts mehr!« Ein unterdrückter Schluchzer und dann Stille. Fanny hat doch nicht etwa … aufgelegt?
Zitternd vor Schreck streife ich meine hochhackigen Schuhe von den Füßen.
Mir wird auf einmal ganz schwindelig, und ich muss mir mit einem meiner Hochglanzprospekte Luft zufächeln. Ich reiße das Fenster wieder auf. Die Amsel zwitschert immer noch. Mein Hirn ist wie leer gefegt.
Was soll ich tun? Die Polizei anrufen? Fragen, was aus dem Penner geworden ist?
»Grüß Gott, Immobilien Glücksgriff, Leben im Paradies. Haben Sie zufällig einen Penner eingesperrt?«
Sitzt er womöglich in einer kalten, dunklen, fensterlosen Zelle, mit einem Bettgestell und einer Kloschüssel in der Ecke? Bei diesem herrlichen Sommerwetter? Wo er doch so freiheitsliebend ist? Und naturverbunden?
Bin ich schuld, dass man den Mann eingesperrt hat? Hätte ich auf dem Elternabend für ihn Partei ergreifen sollen?
Meine arme Fanny leidet wie ein Tier. Was kann ich nur für sie tun?
Ein Gedanke schießt mir durch den Kopf. Soll ich ihn bei mir zu Hause aufnehmen? Ihm das Gästezimmer herrichten? Ihn als Hausmeister anstellen? Oder als Chauffeur? Vielleicht versteht er auch was von Buchhaltung. Ich fasse mir an den Kopf.
Ich meine, was geht mich dieser Mann denn an! Wie komme ich eigentlich dazu, meine knapp bemessene Zeit … mit einem dahergelaufenen Vagabunden zu verplempern, nur weil Fanny einen Narren an ihm gefressen hat!
Ich muss mit Fanny wirklich ein ernstes Wort reden. Vielleicht ist sie einsam? Ja, sie ist einsam. Sie ist sogar so einsam, dass sie sich mit halbseidenen Kreaturen abgibt. Und nicht nur das. Dass sie sogar ihr Herz an eine solche verliert.
Ich vergrabe das Gesicht in den Händen. Ich habe mich nicht genug um sie gekümmert. Christiane, die Glucke, ist in ihrem Alter nicht mehr die richtige Ansprechpartnerin. Eine beste Freundin hat sie nicht, woran ja laut Christiane ich schuld bin, weil ich mich von ihrem Vater getrennt und damit Bindungsängste ausgelöst habe. Sucht sie eine Vaterfigur?
O Gott. Ich muss mit ihr zum Psychologen. Wenn ich nur Zeit dafür hätte!
Fanny braucht einen Freund.
Aber doch keinen Penner von der Parkbank!
Lieber kaufe ich ihr einen Hund.
Frustriert starre ich auf die goldgerahmte Ehrenurkunde »Best Property Agents Club«, die mich als eine der besten Immobilienmaklerinnen Europas, empfohlen von Bellevue, Europas größtem Immobilienmagazin, auszeichnet. Ich krame hastig meinen kleinen Handspiegel aus der Handtasche und schaue hinein. Meine Wangen sind blass, meine Augen glanzlos, mein Blick ist schuldbewusst.
Nein, Juliane. Das bist nicht du . Vergiss dein schlechtes Gewissen.
Ich straffe die
Weitere Kostenlose Bücher