Herzgesteuert: Roman (German Edition)
völlig in unsere Arbeit, koordinieren die brandneuen Immobilien, ordnen Anfragen nach Dringlichkeit und Preis, sichten die neuen Angebote und aktualisieren die Termine. Ich gebe Stefan zu verstehen, welche Mietobjekte heute in sein Ressort fallen, und ich selbst werde mich wie immer um die Kaufobjekte kümmern. Währenddessen ertappe ich mich dabei, wie ich insgeheim dauernd über den Penner nachdenke. Ist er jetzt im Knast? Bin ich daran schuld? Wie wenig hätte es mich gekostet, ihm schnell eine Adresse zuzuflüstern, zu der er sich fürs Erste hätte verziehen können! Aber wäre ich dann nicht eine dauerhafte … Beziehung, welcher Art auch immer, zu diesem Mann eingegangen?
Das Telefon klingelt, und Trockenpflaume Claudia nimmt den Anruf entgegen. Diesen Moment nutzt Stefan, mich wie zufällig mit dem Arm an der Brust zu streifen, als er sich nach einer heruntergefallenen Aktennotiz bückt.
Wie elektrisiert zucke ich zusammen.
Genauso hat es damals mit Karsten Korzkamp angefangen! Er hat mich heiß gemacht mit seinen Berührungen, hat wie selbstverständlich unter meinen Rock gegriffen, als ich mich vor dem Kopierer bückte, seine Hände tasteten nach meinen Strumpfhosen, wenn ich etwas in einer Schublade suchte, oder strichen mir wie unabsichtlich über den Rücken, wenn er mir etwas diktierte. Damals fühlte ich mich begehrt und genoss das Spielchen, das den Kollegen scheinbar völlig verborgen blieb. Was natürlich ein Irrtum war. Ach, was war ich damals für eine dumme Gans!
Oookay. Das muss jetzt auf der Stelle geklärt werden. Ich straffe die Schultern.
»Stefan, ich bin hier die Chefin, und ich verbitte mir das! Ich bin in keinster Weise an dir interessiert. Ist das bei dir angekommen?«
Peng. Ein einziger Schuss zwischen die Augen. Aber der hat gesessen. Stefan tut so, als wäre nichts vorgefallen. Wir besprechen unsere heutigen Termine, wobei ich es vermeide, ihm in die fragenden Augen zu sehen. Betont sachlich und geschäftsmäßig beende ich unsere Morgenkonferenz.
»Also ran an die Arbeit! Und nicht vergessen: Wir sind Dienstleister der gehobenen Klasse. Heute Abend möchte ich Resultate sehen.«
»Dann wünsche ich den Damen noch einen schönen Tag!« Stefan Stör erhebt sich, sendet mir noch einen merkwürdigen Blick und streicht mit den Fingern wie aus Versehen über ein paar herrliche Blumen, die in der Glasvase auf meinem Schreibtisch stehen. Die Blumen kann er von mir aus streicheln, so viel er will.
Hochkonzentriert wende ich mich dem ersten Projekt des Tages zu.
»Schreiben Sie, Claudia: Objektbeschreibung Hotel auf dem Gaisberg. Eine einzigartige Rarität … zwischen Himmel und Salzburg, haben Sie das?«
Ich will schon wieder schneller arbeiten, als meine Trockenpflaume Claudia hinterherkommt. Sie muss erst mal den Computer hochfahren und das entsprechende Dokument suchen … »Das Weltkulturerbe liegt Ihnen zu Füßen. Fünf Sterne zum Verlieben. Ist das gut? Ähm, vielleicht klingt das hier besser: Das Salzkammergut mit seinen kristallklaren Seen …«
»Nehmen wir die fünf Sterne zum Verlieben jetzt raus oder lassen wir sie drin?«
Trockenpflaume Claudia ist immer etwas langsam im Denken.
»Fünf Sterne raus.«
Im Internet ist man schließlich immer überprüfbar, und zurzeit hat der Schuppen keine fünf Sterne. Er ist vollkommen renovierungsbedürftig, aber ich werde ihn trotzdem an den Mann bringen. Tatsachen beschönigen, Nachteile weglassen, Vorteile herausstreichen. Das liegt mir im Blut. Es muss Emotion rüberkommen. Zielgruppe: neureicher Russe oder Japaner, der eine Geldanlage sucht.
»Vierzig Zimmer … nein, schreiben Sie lieber achtzig Betten – besser: Hotelbetten. Tagungsräume …«
Das Handy surrt schon eine ganze Weile auf meinem Schreibtisch herum, Fanny ist dran.
Plötzlich überkommt mich eine heftige Sehnsucht nach meiner Tochter. Wenn ich doch einmal so richtig Zeit für sie hätte!
»Hallo Schatz, wie geht es dir? Ist alles in Ordnung? Wollen wir heute einen Spaziergang machen?«
»Nein!«
Oh. Das klingt nicht gut. Das klingt gar nicht gut. »Was ist pass…«
»Mama, hast du darüber abgestimmt, dass der Mann aus dem Park ins Gefängnis muss?« Fanny brüllt mir dermaßen aufgebracht ins Ohr, dass mir ganz mulmig wird.
»Gefängnis?« Meine Knie werden weich, und ich muss mich setzen. Ich sinke mit einer Pobacke auf die Fensterbank und spüre den milden Sommerwind im Rücken. Eine Amsel zwitschert unablässig.
»Mein Gott, das habe
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