Herzgesteuert: Roman (German Edition)
und keinen Anruf. Ich fühle mich wie ein Putzlappen! Gack!«
»Und? Fertig?«
Erschöpft weiche ich in die Küche aus und lasse mich auf die Küchenbank sinken. Jetzt ist mir nach einem Kaffee. Aber sie flattert hinter mir her und blockiert die Kaffeemaschine, indem sie sich davor aufbaut.
Nein. Sie ist noch nicht fertig. Sie nimmt nur Anlauf und rennt flügelschlagend im Kreis: »Wie siehst du überhaupt aus? Man könnte meinen, du seist unter die Zigeuner gegangen. Und wo wir gerade beim Thema sind: Deine Tochter heult und macht sich Sorgen um diesen Penner, der gestern Abend nicht aufgetaucht ist. Sie war nämlich mit dem verabredet. Das muss man sich mal vorstellen, dass so ein Mädchen mit einem Penner im Park auf der Bank sitzt, weil die Mutter nie zu Hause ist. Dabei braucht das Mädchen dringend eine Bezugsperson, aber doch keinen Penner ! Und dann ist diese Freundin aufgetaucht mit dem Piercing, die Mädchen sind in den Park gegangen und sind nicht wieder aufgetaucht. Ich habe die ganze Nacht kein Auge zugemacht …!«
Ich erstarre. »Fanny auch?«
» Du kümmerst dich ja nicht. Du bleibst ja auch über Nacht weg.«
»Sie war also nicht bei dir drüben?«
Das Handy klingelt, aber ich ignoriere es.
»Du hast mich ja nicht darum gebeten!«
»Aber du steckst doch sonst überall deinen Schna… deine Nase rein!«
»Also anrufen musst du schon, wenn du meine Hilfe brauchst. Ich kann ja nicht riechen, dass du nicht nach Hause kommst …«
Mein Gott. Mir wird ganz übel.
Ich kann es nicht fassen, dass ich meine Mutterpflichten so vernachlässigt habe.
Wie konnte ich so etwas Verantwortungsloses tun?
Und einfach in Kitzbühel bleiben? In einem Haus, das ich als Maklerin betreue? Und in dem ich überhaupt kein Recht hatte, zu übernachten? Wenn das jemand mitgekriegt hat, bin ich meine Lizenz los. Darüber habe ich meine zwölfjährige Tochter einfach vergessen!
Wie tief bin ich gesunken?
Ich habe mit einem Penner gepennt!
Ich unterdrücke ein Stöhnen und vergrabe mein Gesicht in den Händen.
Das Handy klingelt wieder, und in der Hoffnung, dass es Fanny ist, sage ich: »Immobilien Glücksgriff, Leben im Paradies.«
»Dr. Braunwald hier, grüß Gott, gnädige Frau!«
»Hallo«, raune ich schwach. Wer ist noch mal Dr. Braunwald?
Ach ja. Der Vater von den beiden jungen Ärzten, denen ich die Ordination an der Imbergstraße gezeigt habe.
Wie durch Nebel bekomme ich mit, dass seine Söhne Mark und Frank die moderne Arztpraxis doch nicht nehmen wollen.
»Es war zu viel Verkehr, und außerdem scheint uns die Gegend nicht ganz geheuer zu sein … wenn sich schon auf der Baustelle Obdachlose herumtreiben, ist das natürlich keine gute Visitenkarte für einen renommierten Facharzt.«
»Ja. Natürlich«, höre ich mich sagen. »Ich melde mich, wenn ich Ihnen etwas Besseres zeigen kann.«
Wenn Dr. Braunwald wüsste! Ich selbst habe mit einem … Penner die Nacht verbracht. Mit dem Penner.
Und meine Tochter völlig verwahrlosen lassen!
Betäubt starre ich meine Schwester an, die in einer Art Übersprunghandlung die Küchenlampe abwischt.
»Ach ja«, fährt sie ungerührt mit ihrem Gegacker fort, »gestern war übrigens Donnerstag, und du hattest Chorprobe. Aber du warst nicht da, und gerade eben hat deine Chorkollegin Heidi angerufen und gesagt, du kannst die Aufführung nicht mitsingen, weil du so unzuverlässig bist!«
Auch das noch. Mist. Aber das ist jetzt nicht mein größtes Problem. Christiane lässt genüsslich noch eine dickere Bombe platzen, die sie unter ihrem aufgeplusterten Gefieder hervorholt:
»Außerdem hat man dich mit einem Penner in deinem Auto gesehen! Die Frau mit dem Kinderwagen, die am Ende der Stra ße wohnt, kam bei mir vorbei und sagte, du hättest völlig verweint mit dem Mann in deinem Auto gestritten, ob du wohl Hilfe bräuchtest. Aber nachdem der Mann ja schon bei dir im Badezimmer war und du ihn mit Klamotten und Essen versorgst, genießt du diese Bekanntschaft anscheinend. Ich habe der jungen Frau also gesagt, dass er ein Freund von dir ist und du neuerdings solchen Umgang hast. Und ich kann nur sagen: Wie die Mutter, so die Tochter! Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm!«
Endlich hält sie inne und hört auf, mit ihrem spitzen Schnabel auf mich einzuhacken. Ich starre sie mit offenem Mund an. Ich möchte etwas erwidern, mich rechtfertigen, zum Gegenangriff übergehen, aber nichts von dem gelingt mir.
O Gott, mir ist so schlecht. Meine Gedanken schlagen Kapriolen,
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