Herzgesteuert: Roman (German Edition)
wunderschön. Du hast so eine große Seele, und ich wäre unendlich glücklich, wenn ich diese Seele wieder ins Leben zurückgeholt hätte. Du darfst dich nicht so gehen lassen, Georg. Dafür bist du viel zu wertvoll! Bitte arbeite an dir! Komm ins Leben zurück!«
»Ja?« Georgs Stimme klingt so weich … so …
O Gott. Jetzt macht er sich Hoffnungen. Das wollte ich doch nicht!
»Georg, ich muss wissen, warum du es nach so langer Zeit immer noch nicht wieder geschafft hast. Ich will nicht sagen, überwunden , denn so etwas kann man nicht überwinden. Aber … warum hast du dich aufgegeben ?«
Hin- und hergerissen zwischen Abschiedsschmerz und wirklichem Interesse an seinem Leben, beuge ich mich noch einmal vor und ziehe die Autotür wieder zu. Dabei streife ich seine Brust.
Er stöhnt leise auf, ich fühle sein Herz pochen. Dann sieht er mich zögernd an: »Das wäre eine lange Geschichte …«
»Dann erzähl sie mir. Zum Abschied. Bitte. Vielleicht kann ich dir helfen.«
Er sieht mich mit diesen unglaublich zärtlichen braunen Augen an, und mir wird schon wieder ganz heiß.
Ich setze eine entschlossene Miene auf und fahre in bemüht strengem Ton fort: »Du willst mir doch nicht weismachen, dass sich ein Mensch mit deiner Bildung und deinem männlichen … Charakter in seiner Rolle als Penner gefällt.« Ich hole tief Luft, blähe mich auf und sage in Christianes rechthaberischem Ton: »Hinfallen ist keine Schande. Aber liegen bleiben schon.« So. Puh. Jetzt ist es heraus.
Dabei wollte ich gar nicht so herzlos klingen.
Georg senkt den Blick und spielt mit seinen löchrigen Handschuhen.
»Also gut. Zwei Jahre Krankenhaus, mehrfache Ankündigungen, dass meine Beine amputiert werden müssen, dann doch ›nur‹ sechzehn Operationen. Rollstuhl, Psychotherapie. Schwere Depressionen, Schuldgefühle.«
»Aber deine Freunde, deine Familie …«
»Kein Besuch. Alle Kontakte abgebrochen.«
»Aber wieso denn?!«
»Alle machten mich für den Tod von Peter und Anna verantwortlich. Sie glaubten, ich hätte die Maschine in einer Art Amokflug absichtlich zum Abstürzen gebracht.
Hinzu kommt die finanzielle Katastrophe: drei Millionen Schulden durch den Totalschaden des Flugzeugs, plus die Zerstörung eines Birkenwaldes.«
»Aber …« Ich mache den Mund auf und schließe ihn wieder. Scheiße. Scheiße. Scheiße!!
»Die Versicherung zahlte nicht, da der Grund für den Absturz niemals gerichtlich geklärt wurde. Die Amokflug-Version passte allen bestens in den Kram. Annas Eltern haben mich auf fünf Millionen Euro Schadensersatz verklagt – Peters Eltern auf drei weitere. Natürlich hat man mir die Fluglizenz entzogen, und als ich nach fünf Jahren körperlich und seelisch wieder einigermaßen stabil war, wollte ich endlich wieder fliegen. Aber beruflich war der Zug längst abgefahren. Beziehungsweise der Flieger längst abgeflogen.« Ein kleines, gequältes Lächeln, dann schaut er mich mit gerunzelter Stirn an: »So. Schneller ging’s nicht. Ich hoffe, ich habe dir nicht zu viel von deiner kostbaren Zeit gestohlen.«
Ich halte die Luft an.
»Und es war kein Amokflug, nein?«
»Nein. Ich habe Anna und Peter vertraut. Danach ist in mir alles zerbrochen.«
Das kommt mir irgendwie bekannt vor. Wir sind beide ziemlich auf die Schnauze gefallen mit unserem Vertrauen. Nur dass ich die Enttäuschung in kämpferische Energie verwandelt habe.
Aber man kann unsere Geschichten unmöglich miteinander vergleichen!! Wie komme ich nur dazu, ihn zu belehren und von ihm Rechenschaft zu verlangen?
Nun bin ich diejenige, die vorsichtig die Hand in seine Richtung wandern lässt.
Er zieht die seine weg. Na toll.
»Wer wärst du, wenn du könntest«, frage ich plötzlich und schlinge die Finger um meine Knie. »Ich meine, wenn du noch mal ganz von vorn anfangen könntest.«
Georg schweigt einen Moment lang, den Blick in die Ferne gerichtet. »Ich selbst«, sagt er schließlich mit einem Achselzucken. »Ich mag mich so, wie ich bin. Ich bin da, wo ich sein will, ich tue, was ich möchte.«
Ich fahre zu ihm herum: »Aber es muss doch etwas geben, wovon du träumst, etwas, das du noch erreichen willst!«
Er schüttelt lächelnd den Kopf: »Ich tue bereits, was ich tun wollte. Ich lebe. Und atme. Und höre die Vögel singen.«
Nee, jetzt nicht die Franz-von-Assisi-Nummer!
Wild entschlossen fummle ich mit zitternden Fingern so lange an dem Geldkoffer herum, bis er aufspringt.
Alle Scheine liegen sorgfältig gebündelt an
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