Herzgrab: Thriller (German Edition)
Tür und trat auf den steinernen Balkon. Der Duft von Mohn, Zypressen, Weingärten und verblühtem Raps schlug ihm entgegen. Mücken schwirrten an der Hausmauer entlang. Zwei Hunde kläfften, und irgendwo zirpte ein Rasensprenger.
» Was weißt du über Cristina? « , fragte Gerink.
» Sie ist die Frau von Lorenzo, dem jüngsten von Teresas Brüdern. Sie ist neunundzwanzig, stammt aus einem Vorort von Florenz, hat keine Geschwister, keine Kinder und führt eine kleine Boutique in Florenz. «
» Trinkt sie? «
» Ziemlich. Hast du ihre Fahne bemerkt? Ich tippe auf Grappa. «
» Was war Teresa ihrer Meinung nach für ein Mensch? « , fragte Gerink und ertappte sich dabei, dass er von Teresa in der Vergangenheitsform sprach. Doch sein Gefühl sagte ihm, dass sie noch am Leben war. Irgendwo.
Scatozza übersetzte Cristinas Antwort. » Ihre Schwägerin ist eine starke und starrköpfige Person. Sie rauchte als einzige Frau bei den traditionellen Familienfesten, trank Alkohol und tanzte wie eine wild gewordene Florentinerin. Viele Männer im Ort waren deshalb hinter ihr her, doch Teresa hat sie allesamt an der Nase herumgeführt « , drang Scatozzas Stimme aus dem Zimmer.
Gerink rief sich Teresas Anblick in Erinnerung. Ich weiß, dass du noch lebst. » Weiter. «
» Sie war verheiratet, aber die Ehe wurde nach wenigen Jahren geschieden. Teresa liebte die Freiheit zu sehr, wie ein Wildpferd, das sich niemals bändigen lässt. « Scatozza verstummte. » Wenn du mich fragst, klingt es, als sei sie neidisch auf Teresa. «
Kein Wunder, dachte Gerink. Wie einige andere war vermutlich auch Cristina im Lauf der Jahre Teil der Familie geworden – geduldet, aber nicht respektiert. Vielleicht hatte man ihr die Boutique gegeben, um sie zu beschäftigen, aber letztendlich musste sie sich dem Diktat der Del Vecchios beugen und sah keinen Weg auszubrechen – außer mit Alkohol. In ihren Augen hatte Teresa womöglich das einzig Richtige getan: ihr eigenes Leben gelebt. Wie ein Wildpferd! Aber warum wurde ausgerechnet sie entführt?, dachte Gerink. Warum nicht eine der zahlreichen anderen Frauen auf der Trauerfeier? Ein Akt der Rache, weil sie der famiglia den Rücken gekehrt hatte? Wusste sie etwas Belastendes?
» Für wen war die Trauerfeier? «
Cristinas Antwort klang patzig.
» Das ist eine Privatangelegenheit der Familie « , übersetzte Scatozza.
Aufschlussreich! Gerink interessierte sich prinzipiell für alles, was jemand verheimlichen wollte. Er würde den Grund aus anderer Quelle erfahren. Vorsichtig lehnte er sich über die Marmorbrüstung und sah zur Familienkapelle hinüber, die hinter den Weinreben lag. Laut Aussagen der Gäste jenes Tages war die Feier bei der Kapelle längst im Gang gewesen, als der Einbrecher Teresa überwältigt hatte. Für Gerink stellte sich nur eine Frage: Wie hatte der Entführer sie unbemerkt von dem Grundstück fortschaffen können? Wäre er mit der durch Chloroform betäubten Teresa auf der Schulter die breite Treppe hinuntermarschiert, über den Vorplatz, am Marmorbecken vorbei zum Vorderausgang, hätten ihn wohl Dutzende Gäste gesehen.
Er wandte sich an Scatozza. » Frag sie, ob es einen Hinterausgang gibt. «
» Sì « , antwortete Cristina.
» Haben die Carabinieri den Ausgang und die Rückseite des Hauses nach Spuren untersucht? «
Cristina schüttelte den Kopf, murmelte etwas, und Scatozza übersetzte. » Sie meint, die Polizei habe in den Fällen nur sehr nachlässig und halbherzig ermittelt. «
Gerink wurde hellhörig. » Den Fällen? «
21
Thomas Duneks Villa lag in Brunn am Gebirge, einer Nobelgegend südlich von Wien. Gegen sechs Uhr abends kam Elena mit dem Auto dort an. Der Millionär erwartete sie bereits.
Eine Stunde zuvor hatte alles fast reibungslos geklappt. Elena hatte bloß eine Minute am Telefon gewartet und war dann zweimal verbunden worden, bis sie den Mann schließlich an den Apparat bekam. Duneks Stimme klang angenehm sympathisch und überraschend jung. Als sie jedoch um einen Besichtigungstermin für Isabellas Antlitz bat, änderte sich sein Tonfall, und er fragte, woher sie wisse, dass er das Gemälde besitze.
Er wollte bereits auflegen, da ging sie zu Plan B über. Involviere niemals eine Klientin in deine Ermittlungen! Aber in diesem Augenblick war es nicht anders möglich, wollte sie das Beste aus der Lage machen. Ihre Chamäleonstrategie lautete, alles auszunutzen, was die Situation hergab. Also erzählte sie Dunek, dass ihre Freundin Monica gern
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