Herzklopfen - Down Under (German Edition)
gut.« In einer fast verlegenen Geste strich sie sich über die Oberarme, als wäre ihr kalt.
Jake studierte ihr Gesicht im Schein der Stehlampe. Sie sah müde aus. Ihm fielen die Furchen auf, die links und rechts neben ihrem Mund verliefen, und die Fältchen, die sich wie ein Kranz um ihre Augen legten. Er hatte sich geirrt. Sie hatte sich verändert. Ebenso wie er. Den verunsicherten, pickligen Teenager von damals gab es nicht mehr. Er stand ihr als Erwachsener gegenüber.
Unvermittelt raffte Nicolette den zarten Stoff des Negligés über ihrem Busen zusammen. »Viel Glück.«
Ein flüchtiges Gefühl des Mitleids erfasste Jake, als er Chris’ Mutter so dastehen sah. Sie hatte es nicht leicht gehabt in ihrem Leben. Aber das war nicht sein Problem. Er musste Nele finden. Wortlos verließ er das Zimmer und durchquerte den Flur. Er öffnete die Fliegengittertür nach draußen, blickte sich nicht mehr um.
Dunkle, bedrohlich aussehende Wolkenformationen hatten sich vor die helle Scheibe des Mondes geschoben. Eine jähe Böe blies ihm eine Strähne in die Stirn. Der Wind hatte merklich aufgefrischt. Irgendwo in den Baumwipfeln gab ein Gartenfächerschwanz unbeirrt seinen melodischen Gesang zum Besten.
*
Wie aus dem Nichts tauchte es plötzlich auf. Starr vor Angst blieb das Känguru mitten auf der Straße stehen, geblendet vom grellen Licht der Scheinwerfer.
»Shit«, schrie Chris. Hektisch trat er auf die Bremse, während er sich gegen die Rücklehne seines Sitzes stemmte. »Bloody Roo!« Er riss das Steuer herum.
Ein dumpfer Aufprall folgte, dann das Knirschen von Blech und das Zersplittern von Glas. Der Ford geriet ins Schlingern.
»O nein!« Nele klammerte sich mit beiden Händen an den Sitz.
Sie sah den Schatten des Kängurus weiterhuschen, versuchte seiner Silhouette zu folgen, bevor es im Dunkel des Buschdickichts verschwand. Ihr Herz hämmerte wie verrückt, als Chris aufs Gaspedal drückte und den Wagen zurück auf die linke Spur manövrierte.
Fassungslos blickte Nele ihn an. »Aber – wir müssen anhalten! Das Känguru ist bestimmt verletzt!«
Mit grimmiger Miene starrte Chris auf die dunkle Straße. »Ist nicht mein Problem.«
Mitleid mit dem Tier schnürte Nele die Kehle zu. Tränen stiegen ihr in die Augen.
»Verdammtes Vieh.« Chris schlug mit dem Handballen auf das lederbezogene Lenkrad. »Hoffentlich hat der Wagen nichts abbekommen.«
»Halt an«, bat Nele. »Halt an, dann kannst du nachsehen, ob etwas kaputt gegangen ist.« Sie erschrak vor seinem Blick.
»Das würde dir so passen.« Er lachte. Es war ein hässliches, seelenloses Lachen, das ihr am ganzen Körper eine Gänsehaut verursachte.
Chris ist ein Monster. Eisige Kälte kroch ihren Nacken empor. Ein schreckliches, gefühlloses Monster. Sie musste ihm entkommen, unbedingt! Fieberhaft überlegte sie, wie sie ihn zum Anhalten bewegen könnte. »Ich muss mal.«
Ein winziges Zucken seiner Nasenflügel war die einzige Reaktion.
»Dringend.«
Seine Miene blieb unbeweglich.
Verzweifelt knetete sie ihre Finger im Schoß. Sie musste wohl oder übel warten, bis er den Wagen stoppte und sie aussteigen ließ. Und dann, so nahm sie sich vor, würde sie rennen, was das Zeug hielt. So schnell wie noch nie zuvor in ihrem Leben. Aber hatte sie gegen ihn eine Chance? Würde er sie mit seinen langen Beinen nicht sofort wieder einholen? Außerdem – wohin sollte sie flüchten?
Als im schummrigen Licht von Straßenlaternen Wohnhäuser auftauchten, überkam sie die leise Hoffnung, dass diese Irrfahrt hier zu Ende sein könnte. Hier gab es Menschen. Menschen, die ihr vielleicht zu Hilfe eilen könnten. Inman Valley. Nele erkannte den Ort. Vor einigen Wochen hatten Gordon und Tara ihr die Attraktion dieser Gegend gezeigt, den Selwyn’s Rock, einen im Bett des Inman River liegenden fünfhundert Millionen Jahre alten Gletscherfelsen …
Sie passierten das Feuerwehrhaus, das in Wahrheit nicht mehr als ein größerer Blechschuppen war. Das Country Kitchen Café mit den beiden Zapfsäulen davor und die Inman Valley Memorial Hall, ein hübsches Gebäude aus rotem Backstein mit treppenförmigem Dach. Wenn Chris hier anhielt, könnte sie um Hilfe rufen. Oder sie könnte …
Er grinste spöttisch. »Vergiss es. Wir werden hier ganz bestimmt nicht anhalten. Meinst du, ich bin blöd?«
Verdammt, verdammt. Wie konnte sie ihm entkommen? Wie könnte sie ihn überlisten? Während sie grübelte, verließ Chris die Hauptstraße, um in eine schmale,
Weitere Kostenlose Bücher