Herzklopfen - Down Under (German Edition)
unbeleuchtete Schotterpiste abzubiegen.
»Wo willst du hin?«, krächzte Nele, obwohl sie ahnte, dass er ihr diese Frage nicht beantworten würde.
Chris jagte den Pick-up einen Waldweg entlang, der auf einer Anhöhe in einer Lichtung endete. Mit einem abrupten Bremsmanöver brachte er den Wagen zum Stehen. Nele wurde nach vorn geschleudert, erneut schnitt ihr der Sicherheitsgurt ins Fleisch. Mit zitternden Händen strich sie die langen Strähnen zurück, die ihr bei dem plötzlichen Ruck ins Gesicht gefallen waren.
Ein zufriedenes Lächeln umspielte Chris’ Lippen. »Ladys and Gentlemen. Wir haben das Ziel erreicht.«
*
Das schrille Läuten des Telefons ließ Shirley zusammenfahren. Blinzelnd fuhr sie sich mit dem Handrücken über die Stirn. Sie musste eingenickt sein. Ich bin definitiv nicht mehr in dem Alter, in dem es mir nichts ausmacht, mir die Nacht um die Ohren zu schlagen!
Kaltes Mondlicht strömte durch die zarten Vorhänge und tauchte das Zimmer in ein unwirkliches, silbrig blaues Licht. Ein jäher Windstoß peitschte die Zweige des krummen Jacarandabaums gegen das Fenster. Fröstelnd warf Shirley die weiche Baumwolldecke zurück, mit der Gordon sie zugedeckt hatte, bevor er aufgebrochen war. Als sie sich erhob, setzte in ihrer Schläfe ein vertrautes Pochen ein. Hoffentlich kündigte sich keiner dieser grässlichen Migräneanfälle an, an denen sie und ihre Tochter litten. Das war das Letzte, das sie jetzt gebrauchen konnte.
Sie drückte mit dem Handballen gegen ihre Schläfe und eilte in die Küche, um den Anruf entgegenzunehmen. Vielleicht war es Nele und das schreckliche, endlose Warten hatte ein Ende. Die Sorge um das Mädchen machte sie noch verrückt.
»Irgendetwas Neues, Mrs H?« Es war Jake.
Shirley atmete leise seufzend aus. »Nein. Nichts. Bei dir?« Das Pochen in ihrer Schläfe wurde zum rhythmischen Klopfen. Sie schloss die Augen.
»Ich habe den Hunts im Lower Inman Valley einen Besuch abgestattet, aber …«
»Was hast du erfahren?« Shirley straffte den Rücken, während sie den Telefonhörer fester an ihr Ohr presste.
»Chris war nicht zu Hause. Seine Mutter behauptete, sie wüsste nicht, wo er sich herumtreibt. Ich habe ihn auf seinem Handy angerufen …«
»Was hat er gesagt?«, unterbrach Shirley ihn abermals, entgegen ihrer Art. »Weiß er, wo Nele ist? Hat er sie gesehen?« Die aufgeregten Worte sprudelten nur so heraus.
Jake schwieg einen Moment. »Ich bin mir sicher, dass Chris weiß, wo sich Nele aufhält«, erwiderte er vorsichtig.
Das, was er nicht sagte, ließ Shirleys Herzschlag höher schnellen. Sie fühlte eine dumpfe Beklemmung aufsteigen. Ihre freie Hand fuhr an ihre Brust. Sie lehnte sich mit dem Rücken an die Wand, suchte Halt.
»Leider konnte ich nichts in Erfahrung bringen«, fuhr Jake fort. »Hunt hat das Gespräch abgebrochen.«
Shirley ließ sich langsam auf den Boden gleiten. Wie betäubt blieb sie sitzen.
»Shirley?«
»Ja.« Es fiel ihr schwer, zu sprechen.
»Ich suche weiter. Ich gebe nicht auf.«
Sie nickte. Ihre Augen brannten, während sie auf die Blümchentapete starrte, die sie vor vielen Jahren zusammen mit ihrem Exmann Ryan ausgesucht hatte. Eigentlich hatte sie sich schon lange vorgenommen, sie durch einen frischen lindgrünen Anstrich zu ersetzen, der besser zu den weiß lackierten Küchenmöbeln und ihrem neuen Leben mit Gordon passen würde … Wie in aller Welt sollte sie Neles Eltern erklären, dass ihre Tochter entführt worden war? Sie mussten sie wiederfinden. Koste es, was es wolle.
»Danke, Jake.« Mehr gab es im Augenblick nicht zu sagen. Shirley beendete das Gespräch. Erst Minuten später rappelte sie sich mühsam hoch, um den Hörer zurück an den Apparat zu hängen. Niemals würde sie sich verzeihen, wenn Nele zu Schaden kommen sollte. Sie hatten die Verantwortung für das Mädchen übernommen. Sie war wie eine zweite Tochter für sie.
Die Holzdielen im Flur knarrten verräterisch. Rasch wischte Shirley eine Träne von ihrer Wange. Als ihre Tochter den Kopf zur Tür hereinstreckte, blickte sie ihr gefasst entgegen.
»Gibt es etwas Neues?« Tara unterdrückte ein Gähnen.
»Nein, Liebes. Bislang noch nicht.« Wie ähnlich sie ihrem Vater sah. Shirley meinte fast, Ryans grüne Augen – grün wie die endlosen Wiesen seiner irischen Heimat, hatte sie früher immer gesagt – blickten sie aus Taras blassem Gesicht an. Ihr Haar war zerzaust, und es schien, als hätte sie überhaupt nicht geschlafen. Sie tat
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