Herzklopfen für Anfänger
»Das kann ich leider nicht. Durch Innovationen haben wir eine Menge in Gang gesetzt. Deshalb sind wir immer einen Schritt voraus.«
Ich überlegte, ob jetzt wohl ein guter Moment war, ihn nach seiner Einstellung zu unserer Rolle im Gesundheitswesen zu fragen. Ob er der Meinung war, dass aggressives Verkaufsverhalten bei der augenmedizinischen Versorgung der Nation angebracht war.
»Es ist ein enger Markt«, fuhr er fort und beantwortete damit meine Frage. »Und Mitgefühl ist keine tragfähige Grundlage für geschäftlichen Erfolg.«
Unschlüssig drehte ich mein Glas in den Händen. Ob er sich wohl über mich lustig machte? »Dann ist es also gar nicht so ein abwegiger Vorschlag, wie ich dachte?«
»Keineswegs.« Er klang so, als ob er es ernst meinte. »Was allerdings nicht bedeutet, dass ich ihn dem Vorstand vortragen werde. Aber glauben Sie mir, ich habe schon wesentlich radikalere Vorschläge gehört. Und wo ist das Problem? Ich meine jetzt nicht gerade die Sache mit den Rollschuhen, aber wo ist das Problem, wenn man erstklassigen Service zu einem konkurrenzfähigen Preis anbietet? Und das tun wir, wissen Sie.«
»Also keine Millionengewinne?«
Er wirkte völlig ungerührt. Sogar ein bisschen amüsiert. »Natürlich brauchen wir Gewinne. Wir sind ein Unternehmen. Aber ich sehe nicht, warum sich das nicht mit dem Ethos des Dienstes an der Öffentlichkeit vertragen sollte. Und wir wollen uns doch nichts vormachen. Sandals ist auch ein profitorientierter Konzern. Sie arbeiten doch für Ihr Gehalt, oder?«
»Ja, selbstverständlich. Aber es besteht die Gefahr, dass Leute wie ich in ihrer Arbeit von dem Zwang zum Verkaufen beeinträchtigt werden. Das ist ja bereits der Fall.« Ich brach ab, weil ich in meinen Ohren wie eine verknöcherte alte Schachtel klang. Er nickte höflich und wartete darauf, dass ich weiterredete, aber plötzlich fiel mir nichts mehr ein.
»Absolut«, sprang er in die Bresche. »Ich weiß, was Sie meinen. Allerdings kann ich Ihnen versichern, dass Ihnen die Uniform gefallen wird. Sie ist natürlich knallpink und vielleicht ein bisschen kurz, aber sie erregt auf jeden Fall Aufsehen. Auf der Brusttasche ist so ein kleines, gesticktes Namensschild, und …«
»Eine Uniform?«, stieß ich hervor? »Ich bin Optikerin! Ich trage keine Uniform!«
»Ah so«, sagte er und kratzte sich nachdenklich am Kinn. »Äh, hat Ihnen niemand etwas davon gesagt?«
»Sie machen Witze«, sagte ich. »Sie können nicht ernsthaft erwarten …«
Er verzog keine Miene. »Sehe ich so aus, als ob ich Witze mache?« Wieder runzelte er die Stirn. »Oh, verzeihen Sie, Sally. Kann ich Ihnen noch etwas zu trinken holen? Etwas zu essen?«
»Äh … ja. Ja, okay. Einen Saft.« Ich reichte ihm mein Glas. »Aber Sie machen doch Witze, oder?«
»Natürlich«, erwiderte er und zwinkerte mir zu. »Bleiben Sie, wo Sie sind. Ich bin gleich wieder da.«
Ich blickte ihm nach, als er sich geschmeidig durch die Menschenmenge zur Bar hin bewegte.
Ein seltsames Prickeln zog durch meinen Körper. Ein Wink des Schicksals? Nein. Das war Quatsch. Es war einfach nur Zufall.
Aber auf jeden Fall ein netter Zufall.
4
Dann ist dein irrer Autofahrer also auch Optiker, oder wie?«, fragte Ruth, als wir uns in den Verkehr auf der Straße nach East Grinstead einfädelten. Es wurde langsam dunkel, und die Straßenlaternen leuchteten orange vor dem grauen Himmel.
»Ich weiß nicht, vielleicht. Aber ich glaube es eigentlich nicht. Er ist schließlich Personalchef.«
»Ja, juhu! Heute war unser Glückstag. Auf jeden Fall mein Glückstag. Er kann mich jederzeit vom Pfad der Tugend abbringen.« Sie hielt vor einer Ampel und überprüfte ihren Lippenstift im Rückspiegel. »Was hat er sonst noch gesagt? Verheiratet? Kinder? Freundin?«
Das hatte ich mich auch schon gefragt, deshalb ärgerte ich mich ein bisschen. Träum weiter, dachte ich. »Wir haben nur über das Unternehmen geredet«, sagte ich fest.
»Aber ist er denn verheiratet?«, beharrte sie.
»Grundgütiger! Ich weiß es nicht, Ruth. Danach werde ich ihn wohl kaum fragen, oder?«
»Das wäre meine erste Frage gewesen. Hast du gesehen, was er für breite Schultern hat? Und was für ein Wahnsinnszufall, dass er der Typ ist, der dich beinahe über den Haufen gefahren hat.«
Ja. Das fand ich auch. Durch die harte Wirklichkeit einander nahegebracht. Nicht durch das Schicksal. »Nein, eigentlich nicht«, erwiderte ich. »Er ist im Meridien abgestiegen. Er war erst morgens mit dem
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