Herzklopfen für Anfänger
nicht?«
Darauf wusste ich keine Antwort. Ich zuckte mit den Schultern. Anscheinend verstand sie das als missbilligende Geste, denn sie sagte: »He, was machst du denn für ein Gesicht?«
»Wieso?«
»Du siehst aus, als hättest du auf eine Zitrone gebissen. Ha! Sally Matthews, wenn ich nicht wüsste, dass du eine glücklich verheiratete Frau bist, würde ich denken, du wärst selbst hinter ihm her.«
10
Nick kam nicht zurück. Wie sich herausstellte, hatte er sich zwar nicht den Knöchel gebrochen, aber eine Rippe. Sie konnten zwar nicht viel machen, aber sie behielten ihn über Nacht im Krankenhaus. Anderntags fuhr ihn der Bereichsleiter zu seiner Wohnung in Oxted. Wir anderen blieben zur Nachbesprechung im Zentrum und reisten anschließend nach Hause ab. Ich fuhr mit Ruth.
Kurz nach eins setzte sie mich zu Hause ab. Da ich nicht zur Arbeit musste, beschloss ich, die Berge von Wäsche und Einkäufe und Hausarbeit und Nachrichten auf dem Anrufbeantworter und so weiter zu ignorieren und mich mit Merlin auf einen Nachmittagsspaziergang zu meiner Mutter zu begeben. Ich wollte hören, was sie Neues zu berichten hatte. Außerdem war mir nach einem kleinen Spaziergang, um das Gefühl, draußen zu sein, noch einmal zu spüren. Ich wollte noch nicht wieder Mrs Matthews sein.
Aber ich bin natürlich Mrs Matthews. Wie Ruth schon festgestellt hat, bin ich das und dazu glücklich verheiratet. Nun, das stimmt ja auch, oder? Von außen betrachtet bin ich nicht unglücklich, also muss ich wohl glücklich verheiratet sein. Oder?
Ich war eine glückliche Braut, das ganz bestimmt. Ich war auch eine glückliche junge Mutter, eine glückliche junge Ehefrau. Doch die Jahre sind an mir vorbeigerauscht, und ich habe nie innegehalten, um alles richtig unter die Lupe zu nehmen. Ich bin nie einen Schritt zurückgetreten, um eine Bestandsaufnahme zu machen. War ich damals wirklich glücklich? Bin ich jetzt wirklich glücklich?
Manchmal blicke ich Jonathan an und versuche, das Gefühl zurückzuholen. Das intensive Gefühl, das ich damals für ihn empfunden habe. Wie rätselhaft, beschützend und stark er mir vorgekommen ist. Und gleichzeitig war er so verletzlich. Gehörte sein stoisches Leiden dazu? Selbst heute erfüllt es mich plötzlich mit Mitgefühl. Aber manchmal frage ich mich, ob ich nicht etwas anderes empfinden sollte. Etwas weniger Kompliziertes. Wenn ich an ihn denke, regt sich kein Verlangen. Aber bisher habe ich mir darüber keine Gedanken gemacht. Das ist normal, oder etwa nicht? Verheiratete Paare können sich nicht ewig begehren. Ich habe keine Geldsorgen, ich bin gesund … und dennoch.
Warum fühle ich mich so seltsam? Warum hinterfrage ich plötzlich mein Glück, als gäbe es dafür eine Punkteskala?
Meine Mutter ist glücklich, glaube ich. Als mein Vater vor zehn Jahren starb, verkaufte Mum ihre Doppelhaushälfte in Crawley und kaufte die kleine Parterrewohnung, in der sie heute lebt. Bis zum Meer ist es nur ein kurzer Spaziergang, und meine Mum geht gern spazieren. Sie liebt auch einen Schaufensterbummel, und zu den Läden ist es von ihrer Wohnung aus auch nicht weit. So hat sie alles, was sie will. Natürlich auch Dinge, die sie nicht will. Als ich vor ihrem Haus halte, sehe ich ein Plakat in ihrem Fenster: »Rettet Nummer siebenundzwanzig!«, steht dort mit Filzschreiber geschrieben. Ja, denke ich, als ich Merlin aus dem Auto lasse. Alles in allem ist sie ziemlich glücklich.
Wenn vielleicht auch nicht gerade in diesem Augenblick. Meiner Mum ist anscheinend eine Laus über die Leber gelaufen.
»Nutzlos, nutzlos, nutzlos«, verkündet sie, als sie mir die Tür aufmacht. Sie marschiert durch ihr Wohnzimmer und macht den Fernseher aus.
»Wer ist nutzlos?«, frage ich und lasse mich auf ihr Sofa sinken. Mir tun alle möglichen Körperteile weh. Und in anderen flattert es.
»Alles«, ruft sie aus. Sie steht mitten im Zimmer, die Hände in die Hüften gestemmt. »Ich dachte, es gäbe große Resonanz, wenn der Artikel erst einmal in der Zeitung erscheint – habe ich ihn dir übrigens gezeigt?«
»Nein.«
Sie durchquert das Zimmer und schiebt ihren Webrahmen beiseite. Seit mehr als zehn Jahren webt sie. Sie hat den Webrahmen gekauft, als Dad krank war und sie die ganze Nacht an seinem Bett gesessen hat. So viele Jahre, und doch ist der Teppich erst halb fertig. Sie zieht eine Aktenmappe aus dem Stapel auf dem Beistelltisch.
Alle scheinen irgendwelche Aktenmappen zu haben. Vielleicht sollte ich auch eine
Weitere Kostenlose Bücher