Herzklopfen in Virgin River (German Edition)
uns es so wollen – ein Kind haben, für das man verantwortlich ist. Manchmal kommt es aus heiterem Himmel, wenn sie dann verkünden: ‚Okay, jetzt bin ich erwachsen. Lass mich in Ruhe. Ich treffe nun meine eigenen Entscheidungen.‘
„Aber … aber ich spreche jeden Tag mit Marcie und mit Drew mindestens mehrfach pro Woche. Wir stehen uns immer noch sehr nah.“
„Ja, natürlich! Sie lieben dich! Doch langfristig gesehen, werden sie ihr eigenes Leben leben. Sie brauchen dich nicht mehr. Du hast jetzt Zeit, ein neues Leben zu beginnen … Denn dein altes Leben ist jetzt vorbei …“
„Aber ich habe zwei Freundinnen, die mit einem Koffer voller Bücher oder Stricksachen zu einem einsamen Wochenende aufbrechen und es total genießen. Oder sie machen Touren durch Irland oder wandern am Grand Canyon und …“
„Erin, erstens – sie haben nicht schon mit elf angefangen. Du hast fünfundzwanzig Jahre lang so schnell gelebt, wie du nur konntest, und immer versucht, einen Schritt voraus zu sein.“ Mel fasste nach Erins Hand. „Du warst selbst noch ein Kind, als du die Mutterrolle für deine Geschwister übernommen hast. Und außerdem gibt es da einen Unterschied zwischen freiwilligem Rückzug und dem Gefühl, ausgeschlossen zu werden. Abgesehen davon wette ich, dass du nie in der luxuriösen Lage warst, dir ein paar wirklich erfüllende Hobbys suchen zu können!“
Ich konnte nicht ausprobieren, ob mir Cheerleader gelegen hätte und ob ich gleichzeitig Kaugummi kauen und hin und her hüpfen konnte. Denn das Training fand nach der Schule statt, und die Zeit nach dem Unterricht war für meine Geschwister reserviert. Ich hätte im Studentenbeirat sitzen können, doch ich konnte nicht ins Studenten-Camp mitfahren. Na ja, Dad hatte zwar gesagt, ich könnte hin, aber ein Blick in sein Gesicht hatte gereicht, um zu erkennen, welch eine große Bürde es für ihn gewesen wäre, sich ohne mich um die Kleinen kümmern zu müssen .
Doch das hatte ihr doch nie etwas ausgemacht. Oder?
„Ja, mein Vater war auf mich angewiesen“, erklärte Erin. „Ich wollte mich oben auf dem Berg darum kümmern, mir ein großes, erfüllendes Hobby zu suchen. Bis jetzt ist mir aber noch nichts eingefallen.“
„Du versuchst immer noch, mit dem Verlust fertig zu werden. Das leere Nest.“
„Meinst du?“, fragte Erin. „Glaubst du, das ist alles? Das leere Nest?“
„Alles?“ , stieß Mel hervor. „Erin, das ist eine ganze Menge. So wie ein kleiner Tod. Manche Frauen schütteln das einfach alles ab. Wenn deren Kinder zum College gehen oder heiraten, schließen sie einfach die Türen zu den Zimmern ihrer Kinder zu oder verwandeln die Zimmer in Rückzugshöhlen oder Schneiderzimmer.Andere Frauen haben richtig damit zu kämpfen und spüren einen emotionalen Schmerz. Du warst schrecklich jung, als du in die Mutterrolle geschlüpft bist.“
„Was?“, fragte Erin. Sie nahm einen Schluck von ihrer Cola. „Na ja, doch was sollte ich denn jetzt mal zum Spaß machen?“
„Himmel, keine Ahnung“, erwiderte Mel. „Es gibt eine Zeit, die dafür bestimmt ist, sich an die neuen Umstände zu gewöh-nen. Du hast die Phase der Trauer wahrscheinlich schon er-lebt und bist vielleicht noch nicht ganz damit durch. Dir wird schon etwas einfallen.“ Da ging die Tür zur Bar, auf und ein Mann in Arbeitskleidung steuerte den Tresen an. Mel blickte sich über die Schulter nach ihm um und sah dann wieder zu Erin. „Kannst du dich um die Bar kümmern?“
5. KAPITEL
A uf dem Nachhauseweg dachte Erin immerzu darüber nach, was Mel zu ihr gesagt hatte. Natürlich hatte Mel recht. Dieses Gefühl der Leere war aufgetaucht, als Ian und Marcie in ihr eigenes Haus zogen. Erin hatte sich sehr für die beiden gefreut, aber sie hatte sich auch so verloren gefühlt. Und kurz danach hatte Marcie ihr erzählt, dass sie schwanger war. Ihre kleine Schwester hatte sie zum Abendessen eingeladen, um das Ereignis zu feiern – Ian hatte den ganzen Abend gestrahlt und lebendig und aufgekratzt gewirkt, doch sie hatte irgendwas zwischen Aufregung und absoluter Leere verspürt.
Es war nicht bloß das leere Nest. Erin trauerte auch um ihre verlorene Kindheit, die verlorene Jugend und dass sie mit sechsunddreißig bis jetzt noch nie Energie in eine feste Beziehung investiert oder geschweige je einen Gedanken daran verschwendet hatte, eigene Kinder zu bekommen. Wie hätte sie das denn auch machen sollen? Selbst wenn sie die Chance gehabt hätte, so hätte sie die
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