Herzklopfen in Virgin River (German Edition)
deine Arbeit das ist, was dir am meisten Spaß macht – dann arbeite!“
„Du hältst mir keinen Vortrag zum Thema die richtige Balance zwischen Arbeit und Leben?“, hakte sie nach, wobei ein Lächeln ihren Mund umspielte.
„Hast du die nicht schon? Familie, Freunde, ein verstecktes Blockhaus in den Bergen, ein aufregender Job …?“
„Steuer- und Immobilienrecht?“, stieß Erin überrascht hervor. „Ich glaube, dass sich die meisten Menschen gerade an der Tatsache, dass ich so etwas aufregend finde, stören!“
„So meinte ich das auch nicht.“ Mel lachte in sich hinein. „Aber wenn das für dich nun einmal so ist …“
Erin beugte sich über den Tisch zu Mel. „Ich habe wirklich sehr viel gearbeitet“, erklärte sie in einem feierlichen Tonfall. „Ich habe immer alles erledigt, was ich mir vorgenommen hatte. Ich habe einen großen Klientenstamm. Du kannst mir glauben, dass meine Geschäftspartner mich nie ermahnt haben, dass ich zu viel arbeite. Die Kanzlei übernimmt auch Pro-Bono-Fälle. Das können wir uns nur erlauben, weil meine reichen Klienten Probleme mit der Steuer haben. Meine beträchtliche Anzahl an Mandanten ist für sie wertvoll, darum habe ich ihnen einfach mit Kündigung gedroht, falls sie mir diese Pause nicht erlauben würden. In den letzten zehn Jahren hatte ich nie Urlaub, höchstens ein verlängertes Wochenende. Drew macht nun seine Facharztausbildung und wird bald ein wunderbares Mädchen heiraten. Marcie und Ian sind sehr glücklich und erwarten Ende des Sommers ihr erstes Baby. Der Druck ist weg! Jetzt kann ich mich entspannen und mein Leben mehr genießen, und ich kann mir vor allem endlich einmal überlegen, was ich überhaupt will.“
„Oje.“
Erin lehnte sich zurück. „Es stimmt. Wage bloß nicht, es jemandem weiterzuerzählen – doch ich bin noch nicht mal zwei Wochen hier und langweile mich jetzt schon dermaßen, dass ich es kaum aushalte, morgens aufzuwachen und einem weiteren langen, schrecklich öden Tag entgegenzublicken! Die ganzen Jahre habe ich so viele Stunden gearbeitet …“
„Jurastudium und danach einen ziemlich stressigen Job in einer Kanzlei …“, sagte Mel. „Das ist ein steiniger Weg, da bin ich mir sicher …“
„Ich habe schon vor dem Jurastudium damit angefangen. Schon als Kind hatte ich immer etwas zu tun, musste zu Hause mithelfen.“
„Marcie hat erwähnt, dass ihr eure Eltern schon früh verloren habt.“
„Unsere Mutter starb, da war ich gerade elf und Marcie erst vier Jahre. Drew trug noch Windeln.“
Mel dachte einen Moment lang darüber nach. „Dann hast du vermutlich oft babysitten müssen.“
Erin lachte. „ Oft ? Ausschließlich! Ich bin nach der Schule nach Hause gehetzt, weil ich die Babysitterin ablösen, Essen kochen, waschen, die Kinder baden und ins Bett bringen musste. Die Babysitterin hinterließ normalerweise eine riesige Unordnung, und ich wollte nicht, dass mein Vater, wenn er nach Hause kommt, alles so durcheinander vorfindet, denn er war ohnehin schon ziemlich abgespannt. Unser Vater hat alles Mögliche versucht, doch er hatte gerade seine Frau verloren, und er brauchte ein gutes Jahr, um einigermaßen darüber hinwegzukommen.“
„Also hast du nicht erst in den letzten zehn Jahren keinen Urlaub gehabt?“, fragte Mel sanft.
„Unser Vater starb ganz plötzlich während meines ersten Semesters an der Uni. Ich wohnte natürlich noch zu Hause. Drew und Marcie waren erst dreizehn und fünfzehn. Wenigstens war es kein Problem, das Sorgerecht für sie zu bekommen.“
„Wie alt warst du da? Zweiundzwanzig?“
„Ich war erwachsen“, erklärte Erin entschieden.
„Da bin ich mir sicher“, erwiderte Mel. „Und jetzt, wo du deine Lebensaufgaben in einem Drittel der Zeit geschafft hast, fühlst du dich ein wenig aufs Abstellgleis geschoben? So, als ob dir dein Lebensziel abhandengekommen wäre?“
„Lieber Gott“, stöhnte Erin. „Ich kann es nicht in Worte fassen … Es scheint, als ob ich den Sommer brauche, damit ich herausfinde, wie man mit dem Alleinsein klarkommt und es schafft, alleine glücklich und zufrieden zu sein. Denn ich bin ja nun alleine .“
„Und wie alt bist du jetzt? Fünfunddreißig?“
„Sechsunddreißig.“
„Erin, meine Liebe – du bist sechsunddreißig und bist schon seit fünfundzwanzig Jahren Mutter. Du machst gerade das Leeres-Nest-Syndrom durch.“
„Was?“
„Wir opfern als Eltern so vieles … Wir geben so viel. Natürlich freiwillig. Weil die meisten von
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