Herzlichen Glückwunsch, Sie haben gewonnen!
abgespannt aus. Und dünn bist du geworden. Isst du nichts mehr?«
Johanna küsste sie auf die Wange und ließ sich langsam auf den Stuhl sinken. Finchen trug eine knallbunte Tunika über einer weißen Hose, ihre roten Haare standen in alle Richtungen ab. Bei jeder Bewegung klimperten mindestens zehn Armreifen. Auffällig wäre noch geschmeichelt. Keinesfalls wirkte sie so, wie man sich eine alleinstehende 75-Jährige vorstellt.
Jetzt beugte sie sich weit über den Tisch und drückte Johannas Hand.
»Das kriegen wir schon hin. Möchtest du vor dem Essen auch ein Glas Sekt?«
Abwehrend hob Johanna die Hände. »Um Himmels willen, es ist noch nicht mal ein Uhr. Und ich habe noch Sendung. Daniel ist im Urlaub, und ich muss heute auch moderieren.«
»Ach komm. Nach einem Glas lallst du noch nicht. Das kriegen die Hörer gar nicht mit. Und außerdem haben wir etwas zu feiern.«
Sie drehte sich nach dem Kellner um und gestikulierte wild mit den Händen, während Johanna sie beobachtete.
Finchen hieß eigentlich Josefine Jäger und war die ältere Schwester von Johannas Vater. Der große Name Josefine passte nicht so recht zu der kleinen, zierlichen Person, die Johanna gerade mal bis zum Kinn ging, deshalb hatte sich die kurze Version durchgesetzt. Allerdings nur in der Familie, ansonsten bestand Finchen auf der Langform.
Sie hatte in den sechziger Jahren geerbt, genau wie Johannas Vater. Ihren Eltern hatten eine Druckerei in Hamburg und zwei Mehrfamilienhäuser gehört. Beide waren früh bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Johannas Vater übernahm später die Druckerei, Finchen bekam die Häuser und absolvierte eine Ausbildung zur Schauspielerin. Geld verdienen musste sie nicht, sie hatte eins der Häuser verkauft und mit dem Erlös das andere ausgebaut und erfolgreich vermietet. Schauspielerin aber war sie mit ganzer Leidenschaft gewesen. Auch wenn die großen Rollen ausblieben, wurde sie immer wieder für Nebenrollen in Fernsehserien gebucht. In den letzten Jahren war es ruhiger geworden, was Finchen nicht schlecht fand. Sie hatte genug zu tun, ging ins Kino und ins Theater, besuchte ihre verstreut lebenden Freundinnen und Familienmitglieder und war ständig auf der Suche nach Abwechslung.
»Hallo, junger Mann, bringen Sie meiner Nichte bitte mal eine Speisekarte und ein Glas Sekt?« Johanna war immer wieder überrascht, wie weit die Stimme einer so kleinen Person tragen konnte. Der Kellner war zusammengezuckt, die anderen Gäste sahen zu ihnen herüber.
Finchen nickte ihnen freundlich zu und sagte leiser: »Dakann man sich ja bewusstlos winken, bis der einen mal anguckt. So. Jetzt erzähl mal, was ist mit Max?«
Mit leisem Stöhnen schlug Johanna ihre langen Beine übereinander. »Tante Finchen, bist du extra aus Bremen nach Hamburg gekommen, um mit mir über Max zu reden?«
»Nein, nein.« Finchen lächelte sie an. »Ich gehe heute Abend mit Selma in die Oper und übernachte auch bei ihr. Und vorher will ich noch in dieses schöne Hutgeschäft. Ist Max denn ausgezogen? Und wenn ja, wo wohnt er jetzt bloß?«
Mit einem Ruck setzte sich Johanna gerade hin und verschränkte ihre Hände auf dem Tisch. »Max wohnt im Moment bei einem Kollegen. Sagt er zumindest. Vielleicht ist er auch bei dieser blassen Ziege eingezogen. Das interessiert mich aber nicht.«
»Johanna, du kannst doch nicht zehn Jahre Ehe einfach wegschmeißen. Er ist doch so …«
»Er hat sie weggeschmissen. Und zwar genau in dem Moment, als er mit Mareike Wolf in die Kiste gestiegen ist.«
Finchen zuckte zusammen und legte ihre Hand auf Johannas. »Du bist brutal. Max sagt, es ist alles ganz anders gewesen. Ich habe ihn letzte Woche angerufen.«
Bevor Johanna ihre spontane Antwort loswerden konnte, kam der Kellner mit dem Sekt. Sie atmete tief durch und wartete, bis er weg war, bevor sie sagte: »Danke, Tante Josefine, für deine uneingeschränkte Loyalität. Da fühle ich mich doch gleich besser.«
Finchen schüttelte nur nachsichtig den Kopf. »Johanna, du bist vierzig und keine vierzehn. Du solltest nicht irgendwelchen Gerüchten und Verdächtigungen glauben, sondern mal mit Max …«
»Hör zu.« Johanna beugte sich vor. »Max Schulze ist nach einer Buchpräsentation der grauenhaften Jungautorin Mareike Wolf erst morgens um acht sehr derangiert nach Hause gekommen. Er hat bei ihr übernachtet, das haben mir drei Kollegen im Sender erzählt, sie schreibt ihm ununterbrochen Mails und ruft bei uns an. Er kann sich angeblich an
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