Herzschlag der Nacht
Für einen Moment fürchtete Beatrix, ihn könnte ärgern, wie sie versuchte, die Situation leichter zu nehmen. Doch dann hörte sie ein Lachen in seiner Kehle aufsteigen, und er umarmte sie. »Beatrix«, flüsterte er. »Ich werde nie aufhören, dich zu brauchen.«
Sie blieben noch einige Minuten länger draußen, als schicklich gewesen wäre, küssten und herzten sich, bis sie beide atemlos vor ungestilltem Verlangen waren. Mit einem Stöhnen zog er Beatrix von der Bank und brachte sie zurück ins Haus.
Während Beatrix sich unter die Gäste mischte, angeregt mit ihnen plauderte und Interesse an den Ratschlägen vorgaukelte, die sie ihr gaben, sah sie verstohlen zu Christopher, wann immer sie konnte. Er wirkte fast stoisch ruhig, hielt sich wie ein Soldat. Alle hofierten ihn, selbst jene, deren gesellschaftlicher Rang und adlige Abstammung seine bei Weitem übertrafen. Christophers äußere Beherrschtheit täuschte sie nicht; deutlich spürte sie sein Unbehagen, wenn nicht gar Widerwillen, sich neu in eine Umgebung einzufinden, die ihm einst so vertraut gewesen war. Unter alten Freunden fühlte er sich fehl am Platz, denn keiner von ihnen wollte über die Realität dessen nachdenken, geschweige denn reden, was er im Krieg erlebt und getan hatte. Die Medaillen, Goldtressen und patriotische Musik waren alles, worüber die Leute sprechen wollten. Und deshalb durfte er sich nur für kurze Momente gestatten, seine Gefühle zu zeigen.
»Beatrix.« Audrey erschien neben ihr und zog sie sanft beiseite, bevor sie in die nächste Unterhaltung verwickelt wurde. »Komm mit. Ich möchte dir etwas geben.«
Beatrix ging mit ihr zu einer Treppe hinten im Haus, die zu einem seltsam geformten Raum im ersten Stock führte. Es war einer der vielen Reize von Ramsay House, dass es hier Zimmer und außergewöhnliche Räume gab, die keinem speziellen Zweck dienten und gleichsam von selbst aus dem Haupthaus herauszuwachsen schienen.
Die beiden Frauen setzten sich auf die Stufen.
»Du hast Christopher schon so gutgetan«, sagte Audrey. »Als er aus dem Krieg zurückkam, dachte ich anfangs, dass er nie wieder glücklich werden könnte. Doch bereits jetzt wirkt er viel versöhnter mit sich … lange nicht mehr so grüblerisch und angespannt. Selbst seiner Mutter ist der Unterschied aufgefallen. Und dafür ist sie dankbar.«
»Sie war freundlich zu mir«, erzählte Beatrix. »Auch wenn unübersehbar war, dass sie sich eine Schwiegertochter anders vorstellt.«
»O ja«, bestätigte Audrey schmunzelnd. »Aber sie hat beschlossen, das Beste daraus zu machen. Du bist die einzige Chance, Riverton in unserem Zweig der Familie zu halten. Falls Christopher und du keine Kinder bekommt, geht es an ihre Cousins, und das fände sie furchtbar. Ich glaube, sie hätte mich weit lieber gemocht, hätte ich Kinder bekommen können.«
»Das tut mir leid«, sagte Beatrix und nahm ihre Hand.
Audreys Lächeln bekam eine bittersüße Note. »Es sollte nicht sein. Diese Lektion musste ich lernen. Manche Dinge sollen einfach nicht sein, und man kann dagegen wüten oder es akzeptieren. Als es mit ihm zu Ende ging, sagte John mir, wir sollten dankbar für die Zeit sein, die uns geschenkt wurde. Er meinte, dass er die Dinge sehr klar sähe, da sein Leben sich dem Ende zuneigte. Womit ich zu dem komme, was ich dir geben wollte.«
Beatrix sah sie erwartungsvoll an.
Sorgfältig zog Audrey ein sauber gefaltetes Pergament aus ihrem Ärmel. Es war ein unversiegelter Brief.
»Bevor du ihn liest, will ich dir etwas erklären«, sagte Audrey. »John schrieb diesen Brief in der Woche vor seinem Tod. Er bestand darauf, ihn selbst zu schreiben, und wies mich an, ihn Christopher zu geben, wenn – oder falls – er wiederkam. Doch nachdem ich ihn gelesen hatte, wusste ich nicht recht, was ich mit dem Schreiben tun sollte. Bei seiner Rückkehr von der Krim war Christopher so unruhig und gequält, dass ich es für besser hielt zu warten. Denn ganz gleich, worum John mich gebeten hatte, durfte ich Christopher, der Schreckliches durchlebt hatte, nicht noch mehr Schmerz zumuten.«
Beatrix machte große Augen. »Du denkst, dass ihm der Brief Schmerz bereiten könnte?«
»Dessen bin ich mir nicht sicher. Trotz unserer Verwandtschaft kenne ich Christopher nicht gut genug, um das zu beurteilen.« Audrey zuckte mit den Schultern. »Du wirst wissen, was ich meine, wenn du ihn gelesen hast. Ich möchte Christopher diesen Brief nicht geben, solange ich unsicher bin, dass er ihm
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