Herzschlag der Nacht
Holzpferdes versehentlich eine Bodenlampe mit blauem Glasschirm um. Cam stürzte herbei und fing die Lampe auf, ehe sie zu Boden schlug.
Rye drehte sich um, sah seinen Vater auf dem Boden und sprang kichernd auf ihn.
Cam balgte zum Spaß mit seinem Sohn und hielt nur kurz inne, um zu Amelia zu sagen: »So ruhig ist es hier wahrlich nicht.«
»Mir fehlt Jàdo«, beklagte Rye sich. Gemeint war sein Cousin und liebster Spielkamerad. »Wann kommt er wieder?«
Merripen, Amelias Schwester Win und deren kleiner Sohn Jason, mit Kosenamen Jàdo, waren einen Monat zuvor nach Irland abgereist, um das Anwesen zu besuchen, das Merripen eines Tages erben sollte. Da sein Großvater kränkelte, hatte Merripen eingewilligt, auf unbestimmte Zeit zu bleiben und sich mit dem Anwesen und den Pächtern vertraut zu machen.
»Fürs Erste nicht«, sagte Cam bedauernd. »Womöglich erst zu Weihnachten.«
»Das ist zu lange«, jammerte Rye.
»Du hast noch andere Cousins und Cousinen, mein Spätzchen«, erinnerte ihn Amelia.
»Die sind alle in London.«
»Edward und Emmaline sind den Sommer über hier. Und bis dahin hast du deinen kleinen Bruder.«
»Aber Alex ist so langweilig«, beschwerte sich Rye. »Er kann nicht reden, und einen Ball kann er auch nicht werfen. Außerdem tropft er.«
»An beiden Enden«, ergänzte Cam mit einem belustigten Blick zu seiner Frau.
Amelia bemühte sich vergebens, ihr Lachen zu unterdrücken. »Er wird nicht ewig tropfen.«
Rye, der rittlings auf der Brust seines Vaters hockte, blickte zu Beatrix. »Spielst du mit mir, Tante?«
»Gewiss doch. Murmeln? Stäbchenziehen?«
» Krieg «, rief der Junge begeistert. »Ich bin die Kavallerie, und du bist die Russen, und ich jage dich um die Hecken.«
»Könnten wir nicht stattdessen den Pariser Frieden nachstellen?«
»Man kann doch keinen Frieden spielen!«, empörte sich Rye. »Da ist ja nichts zu reden!«
Beatrix grinste ihrer Schwester zu. »Überaus folgerichtig.«
Rye sprang auf, ergriff Beatrix’ Hand und zog sie mit sich nach draußen. »Komm, Tante, ich verspreche auch, dass ich dich nicht mit meinem Schwert haue, wie beim letzten Mal.«
»Nicht in den Wald, Rye«, rief Cam ihnen nach. »Einer der Pächter sagt, dass ein streunender Hund heute Morgen aus dem Haselhain kam und ihn fast anfiel. Er glaubt, das Tier könnte tollwütig sein.«
Beatrix blieb stehen und drehte sich zu Cam um. »Was für ein Hund?«
»Ein Mischling mit drahtigem Fell wie ein Terrier. Der Pächter behauptet, der Hund hätte eine seiner Hennen gestohlen.«
»Keine Bange, Papa«, sagte Rye voller Zuversicht. »Ich bin ja bei Beatrix. Und die lieben alle Tiere, sogar die tollwütigen.«
Kapitel 7
N achdem sie eine Stunde mit Rye durch den Garten und den Obstgarten getollt war, brachte Beatrix ihn zu seinem Nachmittagsunterricht ins Haus zurück.
»Ich mag den Unterricht nicht«, sagte Rye und seufzte äußerst tief, als sie sich den Glasflügeltüren des Hauses näherten. »Ich will lieber spielen.«
»Ja, aber du musst Rechnen lernen.«
»Eigentlich nicht. Ich kann schon bis hundert zählen, und ganz bestimmt brauche ich nie mehr als hundert von irgendetwas.«
Beatrix schmunzelte. »Dann übe die Buchstaben. Wenn du sie beherrschst, kannst du viele Abenteuerromane lesen.«
»Aber wenn ich die ganze Zeit über Abenteuer lese, erlebe ich ja gar keine.«
Lachend schüttelte Beatrix den Kopf. »Ich sollte es besser wissen, als mit dir zu debattieren, Rye. Du bist so gewitzt wie ein Wagen voller Affen.«
Das Kind hüpfte die Stufen hinauf und drehte sich zu ihr um. »Kommst du nicht mit, Tante?«
»Noch nicht«, antwortete sie gedankenverloren und blickte in den Wald hinter Ramsay House. »Ich denke, ich mache noch einen Spaziergang.«
»Soll ich mit dir kommen?«
»Danke, Rye. Ich wäre gern einen Moment für mich.«
»Du willst nach dem Hund suchen«, sagte Rye weise.
Beatrix lächelte ihm zu. »Vielleicht.«
Rye betrachtete sie nachdenklich. »Tante?«
»Ja?«
»Heiratest du auch mal?«
»Das hoffe ich, Rye. Dazu müsste ich allerdings erst den richtigen Herrn finden.«
»Wenn dich kein anderer heiraten will, heirate ich dich später. Aber nur, wenn ich größer bin als du, denn ich will nicht zu dir aufsehen müssen.«
»Vielen Dank«, sagte sie und unterdrückte ihr Lachen, als sie sich umdrehte und auf den Wald zuging.
Diesen Weg war sie hunderte Male gegangen und kannte jeden Strauch. Der schattige Boden war gesprenkelt von Sonnenlicht, das
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