Herzschlag der Nacht
Alberts Leine führte. Beatrix’ Selbstsicherheit störte ihn wie ein Kiesel im Schuh. Und dennoch war es ihm in ihrer Nähe unmöglich, sich von seiner Umgebung loszulösen. Sie verstand es, ihm nicht zu gestatten, der Gegenwart zu entfliehen.
Er konnte nicht aufhören, auf ihre Beine und ihre Hüften in diesen Kniebundhosen zu sehen. Was dachte ihre Familie sich dabei, sie in solcher Kleidung herumlaufen zu lassen? Selbst privat war es inakzeptabel. Ein mattes Lächeln trat auf seine Lippen, als ihm einfiel, dass er zumindest eines mit Beatrix Hathaway gemein hatte: Keiner von ihnen war im Einklang mit dem Rest der Welt.
Mit dem einzigen Unterschied, dass er es sein wollte.
Vor dem Krieg war alles so einfach für ihn gewesen. Er hatte stets gewusst, was er sagen oder tun sollte. Jetzt kam ihm die Rückkehr in die vornehme Gesellschaft vor, als würde er an einem Spiel teilnehmen, dessen Regeln er vergessen hatte.
»Werden Sie Ihr Offizierspatent bald verkaufen?«, fragte Beatrix.
Christopher nickte. »Ich fahre in wenigen Tagen nach London, um es zu regeln.«
»Oh.« Beatrix klang deutlich verhaltener, als sie sagte: »Vermutlich besuchen Sie dann Prudence.«
Christopher stieß einen Laut aus, der sowohl ein Ja als auch ein Nein hätte sein können. In seiner Jackentasche steckte der kurze Brief, den er immerzu mit sich trug.
»… bin ich doch nicht die, für die Sie mich halten … Bitte kommen Sie heim und suchen Sie nach mir …«
Ja, er würde sie nach ihr suchen und herausfinden, warum sie ihm jene quälenden Worte geschrieben hatte. Und dann würde er sie heiraten.
»Nachdem Ihr Bruder nicht mehr unter uns ist«, sagte Beatrix, »werden Sie lernen müssen, den Riverton-Besitz zu verwalten.«
»Unter anderem«, erwiderte er knapp.
»Zu Riverton gehört ein großer Teil des Arden-Waldes.«
»Das ist mir bekannt.«
Sie schien seinen Sarkasmus nicht zu bemerken. »Manche Waldbesitzer roden zu stark, um die Fabriken in der Gegend zu beliefern. Ich hoffe, Sie werden es nicht tun.«
Christopher schwieg in der Hoffnung, dass sie die Unterhaltung damit als beendet betrachtete.
»Möchten Sie Riverton überhaupt erben?«, fragte Beatrix ihn, was ihn ein bisschen erschreckte.
»Was ich möchte oder nicht, ist nicht entscheidend. Ich bin der Nächste in der Linie und tue, was von mir erwartet wird.«
»Es ist sehr wohl entscheidend«, sagte Beatrix. »Deshalb frage ich.«
Christopher verlor die Geduld. »Die Antwort ist, nein, ich möchte es nicht. Riverton war von Anfang an John bestimmt. Ich komme mir wie ein verfluchter Hochstapler vor, seinen Platz einnehmen zu wollen.«
Jeden anderen hätte dieser Ausbruch umgehend zum Verstummen gebracht, nicht jedoch die hartnäckige Beatrix. »Was hätten Sie getan, wäre er noch am Leben? Sie würden dennoch Ihr Patent verkaufen, nicht wahr?«
»Ja. Ich habe genug von der Armee.«
»Und dann? Was würden Sie dann tun?«
»Ich weiß es nicht.«
»Welche Neigungen haben Sie? Welche Talente?«
Beide verlangsamten ihre Schritte, als sie den Waldrand erreichten. Seine Talente … Er konnte viel trinken, andere beim Billard oder Kartenspiel schlagen, Frauen verführen. Er war ein herausragender Schütze und ein exzellenter Reiter.
Unwillkürlich wanderten Christophers Gedanken zu der einen Sache, für die er mit Lob und Medaillen überschüttet worden war.
»Ich besitze ein einziges Talent«, sagte er und nahm Beatrix die Leine ab. Er blickte in ihre großen, runden Augen. »Ich bin gut im Töten.«
Ohne ein weiteres Wort ließ er sie stehen und ging in den Wald.
Kapitel 9
I n der Woche nach Christophers Rückkehr nach Hampshire erreichte der Misston zwischen ihm und seiner Mutter Ausmaße, die es für beide schwierig machten, sich länger als wenige Minuten im selben Zimmer aufzuhalten. Die Bemühungen der armen Audrey, als Friedensstifterin zu fungieren, blieben erfolglos.
Mrs. Phelan verfiel in ein beständiges Jammern und Klagen. Kaum betrat sie einen Raum, warf sie mit tadelnden Bemerkungen um sich wie ein Blumenmädchen bei einer Trauung mit seinen Blütenblättern. Ihre Nerven waren außerordentlich angegriffen, wodurch sie gezwungen war, mehrere Stunden täglich in ihrem vollständig verdunkelten Zimmer zu ruhen. Eine Vielzahl von Kümmernissen und Beschwerden hinderten sie an der Überwachung des Haushalts, was wiederum zur Folge hatte, dass nichts je zu ihrer Zufriedenheit erledigt wurde.
Während ihrer täglichen Ruhephasen peinigte sie das
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