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Herzschlag der Nacht

Herzschlag der Nacht

Titel: Herzschlag der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Kleypas
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Geschirrklappern aus der Küche unten wie unsichtbare Messerstiche. Stimmengemurmel oder Schritte in den oberen Stockwerken waren eine Tortur für ihre Nerven. Der ganze Haushalt musste sich so lautlos wie möglich bewegen, um sie nicht zu stören.
    »Ich habe Männer gesehen, die gerade Arme oder Beine verloren hatten und sich weniger beklagten als meine Mutter«, meinte Christopher zu Audrey, die verhalten schmunzelte.
    Sie wurde jedoch gleich wieder ernst und erklärte: »Seit Neuestem kreist für sie alles um ihre Trauerrituale … als könnte sie mit ihrem Trauern John festhalten. Ich bin froh, dass dein Onkel morgen kommt und sie abholt. Sie braucht dringend Zerstreuung.«
    Mindestens vier Vormittage die Woche besuchte Mrs. Phelan die Familiengrabstelle auf dem Friedhof von Stony Cross und blieb eine Stunde an Johns Grab. Da sie nicht ohne Begleitung hingehen wollte, bat sie gewöhnlich Audrey, sie zu begleiten. Gestern aber hatte Mrs. Phelan darauf bestanden, dass Christopher mit ihr kam. Er hatte eine Stunde in bleierner Stille ausgeharrt, während sie weinend an Johns Grabstein kniete.
    Nachdem sie endlich bedeutet hatte, dass sie aufstehen wollte, und Christopher ihr geholfen hatte, verlangte sie, dass er sich hinkniete und betete wie sie.
    Er hatte es nicht gekonnt, nicht einmal ihr zum Gefallen.
    »Ich trauere auf meine Art«, hatte Christopher zu ihr gesagt. »Wenn ich es möchte, nicht wenn Sie es wünschen.«
    »Das ist unanständig«, schimpfte Mrs. Phelan. »Es zeugt von mangelndem Respekt vor ihm. Dein Bruder verdient, dass der Mann um ihn trauert oder es zumindest vorgibt, der einen solch großen Gewinn von seinem Tod hat.«
    Christopher hatte sie ungläubig angesehen. »Ich habe einen Gewinn ?«, wiederholte er leise. »Sie wissen, dass ich Riverton nie erben wollte. Ich würde alles geben, was ich habe, könnte es ihn zurückbringen. Könnte ich mein Leben geben, um seines zu retten, ich würde es tun.«
    »Wie sehr wünschte ich, dass das möglich wäre«, hatte sie gesagt, bevor sie schweigend nach Hause fuhren.
    Und unterdes fragte Christopher sich, wie viele Stunden seine Mutter an Johns Grab gekniet und sich gewünscht haben mochte, dass dort der andere Sohn läge.
    John war der vollkommene Sohn gewesen, pflichtergeben und verlässlich. Christopher hingegen war wilder, rauer, sinnenfroh, rücksichtslos, unbekümmert. Wie sein Vater William. Jedes Mal, wenn William in einen Skandal in London verwickelt gewesen war – bei dem es meistens um die Ehefrau von jemand anderen ging –, war Mrs. Phelan besonders kalt und distanziert gegenüber Christopher geworden, als wäre von vornherein sicher, dass er in die Fußstapfen ihres untreuen Gemahls treten würde. Als William Phelan nach einem Sturz vom Pferd starb, war ganz London erstaunt, dass er durch einen Unfall ums Leben kam und nicht vom erzürnten Ehemann oder Vater einer der Frauen erschossen wurde, die er entehrt hatte.
    Christopher war zu jener Zeit zwölf Jahre alt gewesen. Als der Vater fort war, hatte er sich nach und nach in die Rolle des zügellosen Filous gefügt. Es schien ja, als erwartete man das von ihm. Und er hatte die Vergnügungen der Großstadt genossen, so flüchtig und leer sie auch waren. Die Stellung des Armeeoffiziers war ideal für ihn gewesen, in jeder Hinsicht günstig und erfreulich. Bis er, wie Christopher nun mit einem grimmigen Lächeln dachte, in den Krieg geschickt wurde.
    Auf dem Schlachtfeld hatte Christopher die Erwartungen aller übertroffen, seine eigenen eingeschlossen. Und je erfolgreicher er darin wurde, anderen den Tod zu bringen, desto mehr starb er innerlich.
    Aber es gab Prudence. Der Teil von ihm, der sie liebte, war der einzige noch anständige, der ihm geblieben war. Der Gedanke, zu ihr zu gehen, erfüllte ihn mit einer angenehmen Rastlosigkeit.
    Er schlief nach wie vor schlecht, schrak mehrmals in der Nacht aus Albträumen auf. Und tagsüber geschah es ihm immer noch, dass er bei einem plötzlichen Geräusch zusammenfuhr und nach einem Gewehr greifen wollte, das nicht da war. Aber er war sicher, dass sich all das mit der Zeit bessern würde.
    Das musste es.

Kapitel 10
    O ffensichtlich bestand keinerlei Anlass zur Hoffnung, was Christopher Phelan anging, ermahnte sich Beatrix wiederholt. Er wollte Prudence, die wunderschöne, konventionelle Prudence mit dem güldenen Haar.
    Zum ersten Mal in ihrem Leben wünschte sich Beatrix, anders zu sein als sie war.
    … ich glaube beinahe, dass Sie meine

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