Herzschlagzeilen
daran, dass ausgerechnet ich es bin, die ihm das Leben retten wird, gefällt mir schon. Meine Auswanderpläne werde ich jedenfalls erst einmal auf Eis legen. Aufgeschoben ist ja nicht aufgehoben. Und plötzlich erscheint vor meinem geistigen Auge eine fette Schlagzeile:
Todesmutige Journalistin rettet Millionärssohn aus den Klauen seiner Erpresser!
Keine Ahnung, ob der Oberbürgermeister wirklich Millionär ist, aber das werde ich schon noch herausfinden. Zumindest scheint er reich zu sein. Haben die da draußen ja eben gesagt. Ich lehne mich auf dem Klo zurück und fange an, die ersten Sätze des Artikels zu formulieren.
Das ist die Chance! Ich werde die Story meines Lebens schreiben. Und zwar nicht irgendwann in zehn Jahren, sondern noch in diesem Sommer. Wow!
Plötzlich will ich nur noch eins: hier raus! Ich lausche angestrengt, aber die Stimmen vor meinem Klo sind verstummt. Vor lauter Aufregung habe ich gar nicht mitbekommen, dass die Typen längst verschwunden sind. Ich atme noch einmal tief durch, dann öffne ich vorsichtig die Klotür. Die Luft ist rein. Erleichtert mache ich mich auf den Weg nach draußen.
»He, was soll das?« Fast trifft mich der Schlag. Da steht einer und pinkelt.
»Hab mich in der Tür geirrt«, murmele ich schnell und grinse ihn entschuldigend an. Dann werfe ich einen kurzen Blick auf das, was er in den Händen hält, und grinse noch mehr. Trockenobst. Sag ich doch. Ich schaue noch mal in sein Gesicht und stelle befriedigt fest, dass der Junge rot geworden ist. Jetzt aber nix wie weg hier.
Als ich mich endlich wieder zu unserem Platz vor der Bühne durchgekämpft habe, haben die Youngsters wieder angefangen zu spielen.
»Wo warst du denn so lange?«, schreit Nina mir ins Ohr. Natürlich würde ich ihr am liebsten alles sofort haarklein erzählen, aber ich kann mich gerade noch beherrschen. Erstens habe ich keine Lust, gegen die Band anzubrüllen, und zweitens ist die Gefahr zu groß, dass die potenziellen Entführer hier irgendwo mit im Saal sind. Ich habe sie ja nicht gesehen, nur gehört. Das wird mir erst jetzt bewusst. Vorsichtig schaue ich mich um. Jeder, wirklich jeder von denen hier könnte es sein. Und meine beste Freundin tanzt und wirft Kusshändchen und weiß gar nicht, in welcher Gefahr wir schweben. Verdammt. Wie soll ich die Entführung verhindern, wenn ich gar nicht weiß, wer meine Gegner sind? Die Polizei wird mich doch nur auslachen, wenn ich ihr erzähle, ich hätte das alles auf einem Männerklo gehört. Ich fühle, wie mir abwechselnd heiß und kalt wird. Was soll ich jetzt nur machen? Ich kann doch nicht einfach nichts tun. Erstens verpasse ich dann die Story meines Lebens, und zweitens kann ich ja nun wirklich nicht untätig zugucken, wie ein griechischer Halbgott entführt wird. Ganz egal, was für ein Nervbolzen er in seinem irdischen Dasein ist. Als mein Nebenmann mir seine Flasche anbietet, greife ich dankbar danach. Erst als ich einen kräftigen Schluck genommen habe, merke ich, dass es eine Bierflasche ist. Egal. Ich lächele und proste ihm zu.
A ls ich wach werde, tauche ich aus einem langen Traum auf, in dem es irgendwie um ein weißes T-Shirt ging und um einen breitschultrigen Jungen mit schwarzen Locken, der nur mit Boxershorts bekleidet war. Jedes Mal, wenn ich den Jungen küssen wollte, zerrten zwei kleine Kinder an ihm und schrien: »Entführung, Entführung«, und der Junge funkelte mich wütend an und sagte: »Wenn ich auch nur ein Wort davon in der Zeitung lese …«
Ich wollte ihn nicht loslassen, ich wollte, dass er mich küsst, aber plötzlich rief er: »Ich muss mal!«, und stürmte in ein Klo.
Ich rannte hinterher, aber er hatte von innen abgeschlossen und ich klopfte von außen gegen die Tür …
Mist. Jetzt bin ich wach. Es dauert einen Moment, bis ich begreife, dass ich in meinem Bett liege und dass nicht ich es bin, die klopft, sondern dass tatsächlich jemand in meinem Zimmer steht und gegen das Regal klopft, das meine Seite von Kikis Seite trennt.
Ich stöhne und ziehe mir die Decke über den Kopf.
»Hallo? Jemand zu Hause?«
Wieso zur Hölle ist meine kleine Schwester schon so wach? Ich knurre etwas Unverständliches unter meiner Bettdecke und hoffe, dass sie sich wieder verzieht. Vielleicht kann ich ja trotzdem noch ein bisschen weiterträumen … Keine Chance. Ich höre, wie Kiki durch mein Zimmer stapft, und dann zieht sie mir mit einem Ruck die Decke weg.
»Sag mal, spinnst du?« Ich schnappe mir einen Zipfel und
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