Herzschlagzeilen
und ich weiß auch, dass es im Grunde ein toller und wichtiger Job ist, den er da macht. Aber heute kann ich das einfach nicht. Ich kann ihm nicht die ganze Zeit dabei zuhören, wie grausam und schrecklich die Welt ist. Ich wünsche mir einen Vater, mit dem ich auch mal über den neuesten Kinofilm quatschen kann oder über ein Computerspiel. Mit Mama kann man ja wenigstens noch über Bücher reden, auch wenn wir nur selten den gleichen Geschmack haben, aber für meinen Vater scheint die Welt nur aus Problemen zu bestehen.
»Und dann sahen wir, dass zwischen den ganzen Jungs dieses Mädchen saß. Jung noch. So jung wie Kiki vielleicht. Oder jünger. Und sie war so betrunken, dass sie nur noch lallte.« Papa legt das Messer so heftig auf seinen Teller, dass es klirrt.
»Habt ihr sie in die Klinik gebracht?« Mama legt ihm beruhigend eine Hand auf den Arm.
Papa schüttelt den Kopf. »Für den Notruf war ihr Puls noch zu gut. Ihr Kreislauf war stabil. Aber da sitzen lassen konnten wir sie auch nicht. Selbst wenn die Jungs vielleicht völlig harmlos waren, meine Güte, das Mädchen war sturzbetrunken. Und es war zwei Uhr morgens.« Papa sieht mich an, als wollte er sagen: So ist sie, die Welt, und eines Tages werde ich dich dort finden.
Ich halte das nicht länger aus. Hastig greife ich nach dem Marmeladenglas und pfeffere einen Klecks Marmelade auf mein Brötchen. Dann reibe ich mit dem Messer darauf herum, als könnte ich damit all die unausgesprochenen Sorgen und Ängste meines Vaters vertreiben. Ich habe im Moment echt genug eigene Probleme. Aber meinen Eltern kann ich damit nicht kommen. Die würden sofort die Polizei einschalten und alles gründlich vermasseln.
Vielleicht sollte ich ja auch zur Polizei gehen. Bestimmt sogar. Schließlich kann ich mich einer Horde von Entführern nicht allein entgegenwerfen. Aber erst einmal muss ich mehr herausfinden. Mit den paar Anhaltspunkten, die ich habe, kann kein Polizist der Welt etwas anfangen.
Oh Mann, wenn Papa wüsste, dass ich das Wort »Polizei« auch nur denke, würde er mich vermutlich vor lauter Sorge nie wieder aus dem Haus lassen.
Ich nippe an meinem Kaffee und werfe möglichst unauffällig einen Blick auf meine Armbanduhr. Halb zehn. Mit ein bisschen Glück würden meine Eltern heute Vormittag in irgendein Museum gehen. Sie lieben Kunstausstellungen über alles und oft steht am Sonntagvormittag eine auf ihrem Programm. Früher mussten wir sie immer begleiten, aber inzwischen haben sie eingesehen, dass Teenager und Museen einfach null kompatibel sind und sie ohne uns mehr von all den Bildern und Skulpturen haben.
»Ach, Isa, bevor ich es vergesse«, Mama beugt sich zu mir und reißt mich aus meinen Überlegungen, »Frau Peters hat angerufen. Sie bittet dich, heute Vormittag mit Ayla rauszugehen. Offenbar hat sie sich gestern den Knöchel verstaucht und kann nur ganz schlecht laufen.«
Mist. Ich verziehe das Gesicht. Normalerweise mag ich meinen Hundesitterjob, und ich bin auch froh über jeden Cent, den ich damit verdienen kann. Aber heute passt mir das überhaupt nicht in den Kram.
»Hast du ihr schon zugesagt?«, frage ich vorsichtig. »Ich hab heute nämlich echt keine Zeit.«
»Ja sicher.« Mama steht auf und fängt an, den Tisch abzuräumen. »Die Arme kann ja kaum laufen und Ayla braucht doch Bewegung. Außerdem ist heute Sonntag, da passt das doch prima.«
»Aber ich …«
»Außerdem würden dir ein bisschen Bewegung und frische Luft auch nicht schaden«, mischt Papa sich ein. »Bevor du wieder den ganzen Tag nur an deinem Computer hängst.«
Langsam bekomme ich wirklich schlechte Laune. Wie um alles in der Welt soll ich so weiterkommen?
»Ich hänge nicht den ganzen Tag am Computer«, fauche ich Papa an. »Und wenn ich mal davorsitze, dann, weil ich entweder einen Artikel für die Schülerzeitung schreibe oder einen neuen Blogbeitrag.«
Ganz im Gegensatz zu Colin, der rund um die Uhr nur irgendwelche Ballerspiele spielt, hätte ich fast hinzugefügt, aber ich halte gerade noch rechtzeitig meine Klappe. Schließlich war Colin gestern Abend und heute wirklich ausgesprochen nett zu mir. Es wäre echt nicht fair, ihm jetzt so in den Rücken zu fallen.
Papa wirft mir einen warnenden Blick zu. Wenn er nun noch etwas sagt, platze ich.
»Am besten gehst du jetzt gleich, dann hast du es ja hinter dir«, mischt Mama sich ein. »Und nimm doch für Frau Peters bitte ein Stück Kuchen mit. Darüber wird sie sich freuen.«
Internetrecherche ade.
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