Herzschlagzeilen
zische ich in ihr Ohr.
»Vermutlich das Gleiche wie wir«, antwortet Nina. »Die Youngsters hören.«
Ich verkneife mir die Bemerkung, dass ich die Youngsters keineswegs hören wollte. Meine Blase meldet sich wieder. Ich habe jetzt echt andere Probleme.
»Tu irgendwas, damit er verschwindet«, raune ich Nina zu. »Ich muss mal!«
Nina deutet mit dem Kopf in Lukes Richtung. »Ich glaube, das Problem hat sich schon von selbst erledigt.«
Richtig. Luke unterhält sich mit einem Mädchen, das ich nicht kenne. Ich kann gerade noch sehen, wie er den Arm um ihre Schulter legt und sie Richtung Ausgang schiebt. Ich sollte erleichtert ausatmen. Stattdessen spüre ich in meinem Hinterkopf so etwas wie einen feinen Stich. Wer ist das? Mit wem zieht Luke samstagabends los?
Ich schüttele den Kopf, um diese Gedanken schnellstmöglich wieder loszuwerden.
Emily Isabelle Heimbucher! Bist du noch ganz dicht? Es kann dir vollkommen egal sein, mit wem Luke sich trifft. Du willst ohnehin auswandern.
Außerdem muss ich jetzt langsam wirklich dringend. Die Toiletten befinden sich im Keller, und um dorthin zu kommen, muss ich erst mal den ganzen Saal bis zum Ausgang durchqueren. Von Luke ist nichts mehr zu sehen, sodass ich mich relativ gefahrlos in Richtung der Klos begeben kann.
Am liebsten würde ich ganz nach Hause fahren, aber ich habe Nina versprochen, mit ihr hierzubleiben, bis das Konzert vorbei ist. Ich bin nur heilfroh, dass Papa dieses Chaos nicht sehen kann. Schließlich trinken nicht alle Leute nur Cola, auf vielen Tischen entdecke ich volle und leere Bierflaschen, und ich bin mir sicher, dass hier längst nicht alle sechzehn sind. Geraucht werden darf zum Glück nicht, aber die eine oder andere Schachtel Zigaretten liegt trotzdem auf den Tischen. Würde mein Vater hier auch nur einen Blick hineinwerfen, dürfte ich vermutlich nie wieder einen Fuß ins KuBa setzen.
Ich verstehe ja, dass Papa sich Sorgen macht. Wer die ganze Nacht unterwegs ist, um Kids davon abzuhalten, Mutproben in der U-Bahn zu veranstalten, oder ständig völlig zugekiffte minderjährige Mädchen zu Hause bei ihren Eltern abliefern muss, sieht die Welt mit anderen Augen.
Trotzdem werde ich nie vergessen, wie mein Vater kurz nach unserem Umzug in mein Zimmer kam, sich zu mir aufs Bett setzte und sehr umständlich anfing davon zu reden, was im Jugendschutzgesetz drinsteht und was nicht. Sogar über Verhütung wollte Papa mit mir reden. Hallo?? Sexualkunde hatten wir das erste Mal schon in der Grundschule, die Übungen mit den Kondomen und Bananen kamen dann in der sechsten Klasse, und dank der Tatsache, dass ich einen Bruder habe, wusste ich schon sehr viel früher, dass das männliche Glied mit einer Banane ungefähr so viel zu tun hat wie Dörrobst mit einem frischen Apfel. Also zumindest, was den Normalzustand dieses Körperteils angeht. Und keinesfalls wollte ich über all das mit meinem Vater reden. Ich erklärte ihm dann, dass ich vorhabe, Karriere zu machen, und Jungs mich überhaupt nicht interessieren. Seinem Blick konnte ich ansehen, dass er an meiner Aussage zweifelte, aber wenigstens ließ er mich erst mal in Ruhe.
Es ist ja auch nicht wirklich so, dass Jungs mich nicht interessieren. Manchmal liege ich stundenlang wach im Bett und träume davon, wie alles sein könnte. Dabei stelle ich mir vor, ein Junge würde mich zärtlich streicheln und küssen, und diese Vorstellung gefällt mir sogar. Aber in meiner Fantasie passieren immer ganz andere Dinge als im wirklichen Leben. In meiner Fantasie haben Jungs keine Mitesser und keine fettigen Haare. Und keine vollgekotzten T-Shirts. Sie flüstern liebe Sachen, anstatt mir ins Ohr zu rülpsen. Und ich mache auch immer alles richtig, trage die richtigen Klamotten zur richtigen Frisur, sehe supergut aus und sage die richtigen Sätze im richtigen Moment. In meiner Fantasie habe ich mich noch nie so blamiert wie heute vor diesem Oberbürgermeistersöhnchen.
Emily Isabelle Heimbucher, könntest du jetzt bitte mal damit aufhören
? Energisch schiebe ich mich zwischen ein paar Mädchen durch, die aufgeregt kichernd ein Smartphone hin und her reichen und ein Foto darauf betrachten.
Endlich habe ich es bis zum Vorraum geschafft. Auch hier herrscht ein Gedränge und Geschiebe, als ob es heute im KuBa etwas umsonst gäbe. Als ich die Treppe zum Kellergeschoss runterlaufe, renne ich fast in eins der Mädchen rein, die dort herumstehen. Es dauert einen Moment, bis ich begreife, dass es das Ende der
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