Herzschlagzeilen
sehr theatralisch.
»Warst du da?« Fragend sieht er mich an.
Ich schüttele stumm den Kopf. Was hätte ich auch sagen sollen? Dass ich nicht wusste, ob ich da hingehen soll? Dass ich dachte, es sei quasi mir überlassen, ob wir darüber einen Bericht schreiben? Das stimmte zwar, aber das war mit Sicherheit die falsche Antwort.
Wefi seufzt, als habe Gott gerade alles Übel dieser Welt auf seine Schultern gelegt.
»Ich hatte dich doch gebeten, zu diesem Termin zu gehen, oder?«
Fast hätte ich genickt, aber so war es ja nicht wirklich. Nein, so war es überhaupt nicht. Schnell schüttele ich den Kopf. Wefi stutzt. Er muss sich sichtlich erst sammeln, aber dann explodiert er.
»Ich weiß genau, dass ich dir sogar einen Zettel mit dem Termin darauf gegeben habe. Warum warst du nicht da?«
Ich bemühe mich, tapfer zurückzustarren.
»Sie haben nicht gesagt, dass ich da hingehen soll. Sie haben mir den Zettel mit dem Termin gegeben, ja, das ist richtig. Und Sie haben gesagt, dass Sie keine Zeit haben.« So. Trotzig gucke ich ihn an.
»Ja und?«
Wie und? Was hat er daran jetzt nicht verstanden?
»Warum bist du dann nicht hingegangen?«
»Sie haben nicht gesagt, dass ich hingehen soll.«
»Aber ich …« Wefi pumpt jetzt wie ein Maikäfer.
»Außerdem habe ich einen anderen, viel wichtigeren Termin wahrgenommen«, falle ich ihm schnell ins Wort.
Jetzt klingt mein Ausbilder wie ein Fahrradreifen, aus dem die Luft entweicht.
»Einen wichtigeren Termin? Und welcher soll das bitte schön gewesen sein?«
Ich versuche, mich durch seine hochgezogene Augenbraue nicht beeindrucken zu lassen.
»Die Vernissage des Künstlers und Kulturpreisträgers Boris Yefimenko.« Ich betone jedes einzelne Wort.
Für einen Moment herrscht Stille. Dann hat Wefi sich wieder gefasst.
»DER Yefimenko?«
»DER Yefimenko.« Ich finde es okay, dass ich ein bisschen stolz klinge.
»Die war gestern?«, fragt er argwöhnisch.
»Nein, am Freitag. Zeitgleich mit der Versammlung der Hühnerleute.«
»Und du warst da?« Seine Frage klingt ein bisschen so, als hätte die Vernissage auf dem Mars stattgefunden.
»Ja.« Ich nicke. »War ich.«
»Woher wusstest du davon? Und wieso wusste ich nicht davon?«
Ich halte seinem Blick stand.
»Ich hatte eine Einladung. Von Marc Behrendt.«
Er probiert wieder diese Augenbrauennummer. Aber diesmal kann er mich damit nicht mehr beeindrucken.
»Marc Behrendt?«
»Der Sohn des Oberbürgermeisters. Er hat die Ausstellung eröffnet und mich dazu eingeladen.«
Wefi grunzt. Ich atme erleichtert aus. Gerade noch mal gut gegangen. Dann rollt mein Ausbilder unter schwerem Ächzen und Stöhnen mit seinem Schreibtischstuhl zum Papierkorb und fischt die zusammengeknüllte Zeitung wieder heraus. Sorgsam streicht er sie wieder glatt.
Das macht er nicht zum ersten Mal, schießt es mir durch den Kopf.
Fragend sieht er mich an.
»Wo ist der Bericht?«
Da begreife ich, dass ich mich zu früh gefreut habe. Mir wird abwechselnd heiß und kalt.
»Es gibt keinen Bericht«, flüstere ich.
»Es gibt keinen? Aber du hast doch eben gesagt, du warst da? Oder hast du das nur erfunden?«
Jetzt schießen mir Tränen in die Augen.
»Nein, doch, also nein«, stottere ich. Reiß dich zusammen, Isa, es geht nicht um dein Leben, nur um einen dämlichen kurzen Bericht in einer Montagsausgabe. Ich hole Luft.
»Ich war da, ja. Marc Behrendt hat die Ausstellung eröffnet. Es gab Sekt und Häppchen. Ich hatte aber nur ein bisschen Sekt«, werfe ich schnell ein, als ich seinen Blick sehe. »Der Künstler hat auch ein paar Worte gesagt. Es waren ziemlich viele Leute da und alle trugen Schwarz.« Bis auf eine, füge ich in Gedanken hinzu, aber das gehört nicht hierher. Das gehört eigentlich überhaupt nirgendwohin, aber geklärt haben Mama und ich das trotzdem noch nicht.
Zu meiner riesengroßen Überraschung hat Mama mich nämlich gar nicht mehr auf die Vernissage gestern angesprochen. Ich bin zwar absichtlich ziemlich lange im Bad geblieben, genau genommen so lange, bis Papa durch den Flur rief: »Tschüss, wir gehen dann mal«, aber mir war auch klar, dass meine Eltern irgendwann wieder zurückkommen und Fragen stellen würden. Zumindest dachte ich, dass sie das tun würden. Taten sie aber nicht. Als ich von meinem Ayla-Spaziergang zurückkam, waren sie zwar wieder zu Hause, aber Papa hatte sich ein bisschen hingelegt und Mama saß mit Kiki vor dem Fernseher und guckte irgendeine Liebesschnulze. Sie begrüßte mich wie
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