Herzstoss
wie verrückt ihr Verhalten erscheinen musste. »Ich muss nur ein paar neue Kleider kaufen«, fügte sie hinzu, während er den Fahrer eilig bezahlte.
»Du musst nicht auf mich aufpassen«, erklärte sie ihm, als er sie kurz darauf am Eingang von Marks & Spencer einholte.
»Offen gestanden schon.«
»Was soll das heißen?«
»Ich habe den Gardai versprochen, auf dich aufzupassen«, gab Liam verlegen zu. »Sonst hätten sie deiner Freilassung nicht zugestimmt.«
»Oh.«
»Ist meine Gesellschaft so furchtbar?«, fragte er.
Marcy betrachtete sein fein geschnittenes Gesicht und verlor sich für einen Moment in seinem unverfroren eindringlichen Blick. »Warum bist du so nett zu mir?«
»Ich glaube, die Antwort darauf kennst du schon«, sagte er, legte den Kopf zur Seite und beugte sich vor.
Marcy begriff, dass er sie wieder küssen würde. Am helllichten Tag mitten in einem belebten Einkaufszentrum. In dem ganzen dummen, schrecklichen Durcheinander würde ein gut fünfzehn Jahre jüngerer, schöner Mann sie küssen.
Und diesmal würde sie seinen Kuss erwidern.
Vielleicht war sie doch nicht so verrückt, wie alle dachten.
»Warte«, sagte Liam, und sein sanfter Atem kitzelte ihre geschlossenen Augenlider.
Sie spürte, wie er sich von ihr löste, öffnete die Augen und sah, wie er zu der großen gläsernen Eingangstür ging. Was machte er? Wohin wollte er? »Was ist?«
»Ich dachte, ich hätte …«
»Audrey gesehen?« Marcy spürte, wie alle Farbe aus ihrem Gesicht wich, während sie zu schwanken begann, bereit auf sein Kopfnicken hin in jede mögliche Richtung loszurennen.
»Nein«, sagte Liam rasch und legte seine Hand auf ihren Arm, als wollte er sie stützen. »Tut mir leid. Ich hab nicht Audrey gemeint.«
»Wen hast du denn gesehen?«
»Ich dachte, es wäre der Mann gewesen, mit dem du zusammen warst, den aus deinem Hotel …«
»Vic Sorvino?« Marcy stieß die Glastür auf und ließ ihren Blick über die Mengen der Samstagnachmittagsshopper schweifen. »Du hast Vic gesehen?«
»Ich bin mir nicht sicher, dass er es war«, ruderte Liam zurück. »Scheiße. Jetzt fange ich auch schon an, Geister zu sehen.«
War es möglich, dass Vic noch in Irland war? Hatte er nach dem Gespräch mit der Polizei doch nicht den nächsten Flug nach Rom genommen? Und wenn er noch in Irland und hier in Cork war , wenn er sich tatsächlich in diesem Moment im Merchant’s Quay Shopping Centre aufhielt, lautete die nächste logische Frage: Wieso? Was machte er hier? Verfolgte er sie?
Warum ?
»Ich kann ihn nirgends sehen«, sagte Liam, während Marcy weiter das Einkaufszentrum absuchte.
»Nein«, stimmte Marcy ihm zu. Sie atmete ein paarmal tief durch, um ihr wild pochendes Herz zu beruhigen, doch davon wurde ihr schwindelig.
»Alles in Ordnung?«, fragte Liam. »Du siehst ein bisschen blass aus.«
»Entschuldigung«, sagte eine Frau, die an ihnen vorbei in das Kaufhaus drängte.
»Ich brauche wirklich ein paar neue Sachen«, hörte Marcy ihre Stimme wie außerhalb ihres Körpers sagen, als wäre sie die Puppe eines Bauchredners oder eine Marionette, die nur funktionierte, wenn ein anderer die Fäden zog.
»Was brauchst du?«, fragte Liam und sah sich ein letztes Mal um, bevor er sie durch die Süßwarenabteilung zur Damenoberbekleidung auf der anderen Seite des großen Warenhauses führte.
Ich muss meinen Kopf untersuchen lassen, dachte Marcy. »Alles«, sagte sie.
Zwanzig Minuten später sah sie sich erneut nervös nach Vic Sorvino um, als sie mit zwei Hosen, einer schwarzen und einer khakifarbenen, zwei T-Shirts, weiß und beige, einer blau-weiß gestreiften Baumwollbluse, einer dunkelblauen Jacke, Socken, einem neuen BH und einem halben Dutzend Calvin-Klein-Slips an die Kasse trat. »Das sollte fürs Erste reichen«, sagte sie und gab die Sachen einer Kaugummi kauenden Verkäuferin mit flammend roten Haaren.
»Wollen Sie nichts anprobieren?«, fragte das Mädchen, dessen Namensschild sie als Sissy auswies.
»Nein. Ich bin sicher, sie werden passen.«
Sissy ließ ihr Kaugummi knallen, als wollte sie sagen, »wie Sie wollen«, und begann die Waren zu scannen. »An dem hier ist kein Etikett«, sagte sie vorwurfsvoll.
»Oh, tut mir leid«, entschuldigte Marcy sich, als ob das in irgendeiner Weise ihre Schuld war.
»Hey, Adeline«, rief Sissy einer jungen Frau zu, die vorbeiging. »Kannst du einen Preis für mich checken? Die Dame hat das Etikett verloren.«
»Ich glaube, es hatte kein Etikett«,
Weitere Kostenlose Bücher