Herzstoss
Gruppenausflügen bin ich fürs Erste durch.«
»So geht’s mir auch.«
»Ich habe für morgen schon was anderes vor«, fühlte Marcy sich zu einer Erklärung verpflichtet.
»Nun, sollten Sie zufällig ein wenig freie Zeit übrig haben, rufen Sie mich gerne an.« Vic griff in die Tasche, zückte eine Visitenkarte und gab sie ihr. »Ich habe die Firma verkauft, aber meine Handynummer behalten.«
Marcy steckte die Karte in ihre Handtasche, ohne sie anzusehen. »Ich reise ehrlich gesagt morgen ab.«
»Oh, tut mir leid, das zu hören. Wohin geht’s denn?«
»Ich treffe mich für ein paar Tage mit meiner Schwester in Paris«, log sie, weil ihr das leichter erschien.
»Paris ist eine wunderschöne Stadt.«
»Ja, das stimmt.«
»Dort habe ich meine Reise vor ein paar Wochen begonnen. Paris, dann London«, führte er unaufgefordert aus. »Dann Schottland. Jetzt hier. Nächste Station ist Italien.«
»Das ist aber eine ganz schöne Tour.«
»Nun, ich möchte das Dorf besuchen, in dem mein Urgroßvater geboren wurde, und ich dachte mir, wenn ich zu lange warte, schaffe ich es vielleicht nicht mehr.« Er machte eine Pause, als wartete er, dass sie die logische Anschlussfrage stellte, und fuhr dann, als sie das nicht tat, fort: »Mein Vater ist mit neunundfünfzig an einem Herzinfarkt gestorben, meine Mutter mit zweiundsechzig an Krebs, meine erste Frau mit dreiundfünfzig ebenfalls an Krebs. Ich bin gerade siebenundfünfzig geworden. Da dachte ich mir, vielleicht habe ich nicht mehr allzu viel Zeit übrig.«
Marcy nickte und hielt ihr Glas hoch. »Meinen Sie, dass wir in diesem Fall noch einen von denen bekommen könnten?«
»Oh, ich denke, das lässt sich einrichten.« Er machte dem Kellner ein Zeichen, eine weitere Runde zu bringen. »Und vielen Dank.«
»Wofür?«
»Die meisten halten mich für bescheuert, wenn ich ihnen meine Lebensphilosophie erkläre. Oder meine Todesphilosophie, besser gesagt.«
»Sie klingt durchaus logisch, finde ich.«
»Klingt so, als hätten Sie auch einen geliebten Mensch zu jung verloren.«
»Also, mein Vater war ehrlich gesagt fast achtzig, als er gestorben ist.«
»Und Ihre Mutter?«
Marcy streckte dem nahenden Kellner die Hand entgegen und lächelte, als sie das Gewicht des Glases darin spürte. »Sechsundvierzig.« Sie trank einen Schluck. »Sie sagten, Ihre erste Frau. Wie viele gab es denn?«
Vic lächelte. »Nur zwei.«
»Was ist mit der zweiten passiert?«
»Wir haben uns vor einem Jahr scheiden lassen.«
»Das tut mir leid.«
»Das muss Ihnen nicht leidtun. Es war von Anfang an eine Katastrophe.«
Marcy trank einen weiteren Schluck von ihrem Whiskey und wartete, dass er weitersprach.
»Mit meiner ersten Frau war ich fast dreiunddreißig Jahre verheiratet«, tat er ihr den Gefallen. »Sie war meine Highschool-Liebe. Wir haben direkt nach dem College geheiratet. Wir waren das typische amerikanische Durchschnittspaar. Und dann waren wir eine typische amerikanische Durchschnittsfamilie mit drei Söhnen, einem Haus in Lake Forest samt Garage für vier Autos und alles, was man sich sonst noch wünschen kann. Und dann meinte Kathy eines Tages, dass sie sich irgendwie komisch fühlen würde – das waren ihre genauen Worte, sie fühlte sich ›irgendwie komisch‹. Wir gingen zum Arzt, er sagte, sie hätte Bauchspeicheldrüsenkrebs, und drei Monate später war sie tot.«
Marcy ließ ihr Glas sinken und starrte auf den Tisch.
»Und ich war wie in einem Taumel. Schlimmer. Ich war total von der Rolle. Ich meine, Kathy war die Eine für mich, verstehen Sie? Ich war nie mit einer anderen Frau zusammen gewesen. Und plötzlich war ich allein. Ich hatte natürlich noch meine Söhne, aber die mussten sich um ihr eigenes Leben kümmern. David und Mark sind verheiratet mit kleinen Kindern, und Tony ist dreiundzwanzig und macht gerade sein Examen in Musik. Sie hatten genug eigene Sorgen. Und ich hab mich aufgeführt wie ein völlig Verrückter. Erst hab ich mich zu Hause verkrochen und mich geweigert, irgendwo hinzugehen, dann bin ich durch die Stadt gezogen, die ganze Nacht weggeblieben und hab alles ins Bett gezerrt, was sich bewegte. Ich meine, plötzlich war ich wieder zu haben, richtig? Und ich hab auch keine unansehnlichen Warzen oder Hautausschläge, sodass all diese Frauen sich mir im Prinzip vor die Füße geworfen haben.«
»Schlampen in Whirlpools«, sagte Marcy, blickte auf und sah erleichtert, dass Vic lächelte.
»Tony hat sie die ›Busen-Brigade‹
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