Herzstoss
haben nach wie vor einen gemeinsamen Sohn«, hatte er gesagt, als ob sie daran erinnert werden müsste.
Ihre Tochter blieb unerwähnt.
Zitternd zog Marcy ihren Trenchcoat enger um ihren Körper und beschloss, sich den Reihen derjenigen anzuschließen, die für eine kurze Pause und ein Bier optiert hatten. Seit der Bus am Morgen um halb neun in Dublin abgefahren war, waren sie unterwegs. Nach einem kurzen Mittagessen in einem typisch irischen Pub gleich nach der Ankunft in Cork hatten sie eine dreistündige Wanderung durch die Stadt gemacht, bei der sie Sehenswürdigkeiten wie das Gefängnis, den Cork Quay Market, das Opernhaus und die St. Fin-Barre’s-Kathedrale besichtigt und die St. Patrick’s Street, die Haupteinkaufsstraße, hinuntergeschlendert waren. Letzte Station waren nun der Besuch der St. Anne’s Shandon Church und der vorgeschlagene steile Aufstieg auf den Patrick’s Hill. Da das Zentrum von Cork auf einer Insel zwischen zwei Armen des Lee lag, war die Stadt von Natur aus in drei große Viertel unterteilt: der Innenstadtkern, genannt »flat of the city«, die North Bank und die South Bank. Den ganzen Nachmittag hatte Marcy eine Brücke nach der anderen überquert. Es wurde Zeit, sich irgendwo hinzusetzen.
Zehn Minuten später hockte sie allein an einem winzigen Zweiertisch in einem weiteren typisch irischen Pub mit Blick auf den Lee. Drinnen war es dunkel, was zu der Stimmung passte, die Marcy mit Macht übermannte. Es war verrückt gewesen, alleine nach Irland zu fahren. Nur eine Verrückte fuhr ohne ihren Mann in die zweiten Flitterwochen, selbst wenn die Reise schon bezahlt war und bei Stornierung nicht zurückerstattet wurde. Ein paar tausend Dollar mehr oder weniger würden sie nicht schmerzen. Peter war mehr als großzügig gewesen. Er wollte offensichtlich so schnell und mit so wenig Aufwand wie möglich von ihr weg. Marcy musste beinahe schmunzeln. Warum sollte er mehr Mühe auf ihre Scheidung verwenden, als er es auf ihre Ehe getan hatte?
»Na, Sie scheinen sich ja zu amüsieren«, sagte eine Stimme irgendwo über ihr.
Marcy blickte auf und sah einen lausbubenhaft attraktiven jungen Mann mit beneidenswert glattem schwarzem Haar, das in seine leuchtend dunkelgrünen Augen fiel. Sie dachte, dass er wahrscheinlich die längsten Wimpern hatte, die sie je gesehen hatte.
»Was darf ich Ihnen bringen?«, sagte der junge Mann mit gezücktem Block und Bleistift.
»Wäre es sehr albern, wenn ich eine Tasse Tee bestelle?«, fragte Marcy zu ihrer eigenen Überraschung. Eigentlich hatte sie vorgehabt, ein Beamish zu trinken, wie es ihr Führer vorgeschlagen hatte. Typisch, dass du wieder so eigensinnig sein musst , hörte sie Peter im Geiste tadeln.
»Überhaupt nicht«, antwortete der Kellner und klang sogar so, als meinte er es ernst.
»Tee klingt wunderbar«, hörte sie jemanden sagen. »Bringen Sie bitte zwei?« Neben ihr schrammten Stuhlbeine über die Bodendielen. »Darf ich mich zu Ihnen setzen?« Der Mann nahm Platz, bevor Marcy antworten konnte.
Sie erkannte ihn als ein Mitglied ihrer Reisegruppe, obwohl sie sich nicht an seinen Namen erinnerte. Irgendwas Italienisches, dachte sie und sah ihn drei Reihen vor sich vorne im Bus an einem Fensterplatz sitzen. Er hatte sie angelächelt, als sie weiter nach hinten durchgegangen war. Hübsche Zähne , hörte sie Peter in ihr Ohr flüstern.
»Vic Sorvino«, sagte er jetzt und streckte die Hand aus.
»Marcy Taggart«, sagte Marcy, ohne die Hand zu ergreifen. Stattdessen winkte sie knapp und hoffte, dass er sich damit zufriedengab. Warum war er hier? Es gab genug andere Tische, an die er sich hätte setzen können.
»Taggart? Das heißt, Sie sind Irin?«
»Mein Mann.«
Vic ließ den Blick am Tresen entlang und durch den gesamten Pub schweifen. »Tut mir leid. Ich wusste nicht, dass Sie in Begleitung hier sind«, sagte er, ohne Anstalten zu machen, seinen Stuhl zu räumen.
»Er ist nicht hier.«
»Mag er keine Busreisen?«
»Er mag es nicht, verheiratet zu sein«, hörte Marcy sich sagen. »Jedenfalls nicht mit mir.«
Vic wirkte leicht perplex. »Smalltalk ist nicht gerade Ihre Stärke, was?«
Obwohl sie es nicht wollte, musste Marcy lachen. Sie strich sich einen Wust von Locken aus ihrem schmalen Gesicht.
So viel Haare, dachte sie und hörte die Stimme ihrer Mutter, für so ein winziges Gesicht.
»Entschuldigen Sie«, sagte sie. »Das fällt vermutlich in die Kategorie zu viel Information.«
»Unsinn. Ich gehöre der Denkschule an,
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