Herztod: Thriller (German Edition)
Frau sehr gut beschreiben und sogar wiedergeben, welche Kleidung sie trug. Das ist ungewöhnlich.«
Folk lächelte. »Wie gesagt, sie fiel mir auf, wie sie dastand und sich umsah. Außerdem war sie sehr hübsch. Ich habe sie angelächelt, aber sie hat mich gar nicht registriert.«
Hannah nickte. »Wenn ich es richtig verstehe, haben Sie jedoch keine weitere Person in ihrer Nähe wahrgenommen. Es kam niemand, der sie begrüßte?«
»Nein.«
»Telefonierte sie?«
»Nicht zu dem Zeitpunkt, als sie mir auffiel.«
»Ist Ihnen sonst noch etwas aufgefallen, was im Nachhinein bedeutsam sein könnte?«
Er runzelte die Stirn. »Wie meinen Sie das?«
»Haben Sie Leute gesehen, die sich stritten – zum Beispiel – oder merkwürdig verhielten?«, präzisierte Hannah ihre Frage.
»Nein, nichts dergleichen. Es war ein schöner Tag. Alles wirkte sehr entspannt.«
»Ich verstehe. Was hat Sie eigentlich an jenem Nachmittag nach Blankenese geführt?«
Folk hob das Kinn und zog die Brauen zusammen. »Wie?«
»Was haben Sie zu dem Zeitpunkt am Elbufer gemacht? Sie wohnen und arbeiten nicht in Blankenese«, gab Hannah ungerührt zurück. »Waren Sie verabredet?«
»Nein.« Er schüttelte den Kopf. »Es ist sehr schön dort. Ich bin spazieren gegangen. Ich mag die Gegend. Der Blick über die Elbe, die Schiffe, dazu das nette Sommerfeeling, Menschen am Strand, na, Sie wissen schon.«
Das Elbufer ist lang, dachte Hannah, und meine Frage gefällt dir nicht. Warum eigentlich nicht? Es ist eine harmlose Frage, vielleicht ein bisschen neugierig, aber das liegt in der Natur der Sache. Sie sah ihm direkt ins Gesicht. »Ja, ich weiß. Was haben Sie danach gemacht?«
»Danach?«
»Im Anschluss an Ihren Spaziergang und den schönen Blick über die Elbe.«
»Ich bin hierhergefahren. Ich hatte Spätschicht, so wie heute.« Er lehnte sich zurück, und der zierliche Bistrostuhl ächzte leise unter ihm. »Was soll das eigentlich? Ich habe als Zeuge eine Aussage gemacht und die vermisste Frau beschrieben, die in der Zeitung abgebildet war, weil ich sicher bin, sie gesehen zu haben, und hoffte, bei der Suche nach ihr behilflich sein zu können. Das war doch ziemlich nett von mir. Warum muss ich mich jetzt rechtfertigen?«
»Müssen Sie doch gar nicht«, entgegnete Hannah ungerührt. »Ich stelle viele Fragen, in der Hoffnung, auf etwas zu stoßen, das mich dem Geschehen und seinen Hintergründen näher bringt. Es steht Ihnen frei, nicht zu antworten, wobei sich dann natürlich für mich die Frage anschließt, was genau Sie dazu veranlasst – aber das nur so nebenbei.«
Für einen Moment verengten sich seine Augen, und er taxierte sie, während Hannah in aller Seelenruhe ihren Kaffee austrank.
»Na schön, war es das jetzt?«
Sie nickte. »Ich danke Ihnen.« Sie stand auf. »Der Kaffee ist übrigens sehr gut hier.«
»Freut mich.« Seine Miene spiegelte etwas ganz anderes wider. Er erhob sich ebenfalls und überragte Hannah um zwei Kopflängen. Das genießt er, durchfuhr es sie. Kotti stand plötzlich neben ihr.
»Einen schönen Tag noch.« Damit wandte sie sich um und verließ den Flughafen, um auf direktem Weg in die Pension zu fahren.
Nach einer Stunde Schlaf setzte sie sich an den kleinen Schreibtisch unter dem Fenster und schrieb die Aussagen ihrer Gesprächspartner zu zentralen Fragen direkt in ihr Netbook – die Antworten und Beschreibungen der Befragten flossen ihr nach kurzer Konzentrationsphase aus den Fingern, als würde sie die Beiträge von einem inneren Teleprompter ablesen. In einem zweiten Arbeitsgang fügte sie dem Text in einer gesonderten Spalte ihre eigenen Anmerkungen hinzu und hob Auffälligkeiten hervor. Anschließend schickte sie Krüger eine Mail und bat ihn um eine Überprüfung von Michael Folk, weil sie sicher war, dass sie bei Detlef Schaubert kein offenes Ohr für ihr Anliegen finden würde, noch nicht. Zum ersten Mal hatte sie das untrügliche Gefühl, dass es für das Verschwinden von Caroline Meisner einen kriminellen Hintergrund gab, aber ein untrügliches Gefühl bedeutete im Ermittleralltag wenig bis gar nichts. Es war höchstens geeignet, der Staatsanwaltschaft ein genervtes Kopfschütteln zu entlocken, und manchmal machte man sich einfach nur lächerlich damit – als Psychologin ohnehin.
Während der Abendrunde mit Kotti nahm sie ihr Handy mit und versuchte erneut, Daniel Gruber zu erreichen. Große Hoffnung hatte sie nicht, dass er das Gespräch annehmen würde, doch wider Erwarten hatte
Weitere Kostenlose Bücher