Herztod: Thriller (German Edition)
sie diesmal Glück. Grubers Stimme klang im Original nicht ganz so fröhlich wie auf der Mobilbox, eher abgehetzt und müde.
»Ja, ich weiß, wer Sie sind«, erwiderte er auf Hannahs einleitende Worte. »Die Familie hat mir bereits von Ihnen berichtet. Ich glaube allerdings nicht, dass ich Ihnen viel mehr als die anderen erzählen kann.«
»Vielleicht doch, und Sie wissen es gar nicht. Ich möchte die Gelegenheit jedenfalls nicht ungenutzt verstreichen lassen.«
»Hm. Haben Sie denn inzwischen einen Verdacht, was passiert sein könnte? Oder dürfen Sie nicht darüber sprechen?«
»Ich beantworte beide Fragen mit Nein.« Hannah lächelte. »Wenn ich einem konkreten Hinweis nachginge, dürfte ich Ihnen keine Einzelheiten mitteilen, sofern durch eine Bekanntgabe der Details das Risiko bestünde, die weiteren Untersuchungen zu gefährden oder zu beeinflussen. Ausnahmen bestätigen jedoch die Regel.«
»Ich verstehe.« Er räusperte sich. »Herbert … ich meine, Carolines Vater sagte mir noch, dass Sie in die Wohnung möchten, um sich dort umzusehen.«
Hannah war froh, dass Gruber das Thema selbst anschnitt. »Das wäre eine sehr große Hilfe.«
»Wir wollen nicht, dass Sie alles durchwühlen. Können Sie das verstehen?«
»Und ob. Diese Sorge ist allerdings unbegründet. Ich werde nichts durchwühlen. Ich möchte mir lediglich einen Eindruck verschaffen und werde nichts anrühren, was aus Ihrer Sicht oder nach dem Empfinden von Carolines Eltern unangemessen wäre«, betonte Hannah.
Schweigen.
»Bei allem Verständnis für Ihre Bedenken, dass ich die Intimsphäre von Caroline nicht respektieren könnte – bedenken Sie bitte, dass Ihre Schwägerin seit zehn Tagen spurlos verschwunden ist«, fügte sie schließlich hinzu. »Sollte es Hinweise auf ein Verbrechen geben, so sind diese unter Umständen so gut getarnt, dass sie mit den üblichen Polizeiroutinen bislang nicht aufgespürt werden konnten und auch den Familienangehörigen nicht auffielen – genau darum bin ich hier. Und andersherum:Vielleicht entdecke ich etwas, das alle Sorgen und Ängste zerstreut, weil sich herausstellt, dass es eine banale Erklärung gibt.« Daran glaubte Hannah nicht einen Moment, aber sie wusste, dass derlei immer wieder geschah.
»Ist das Ihr Ernst?«
»Vermisstenfälle sind seit einigen Jahren mein Spezialgebiet, und so etwas passiert tatsächlich relativ häufig.«
»Ich bin morgen wieder mit dem Servicewagen unterwegs«, meinte Gruber nach einer weiteren Pause. »Wir könnten uns vor Carolines Wohnung treffen.«
Hannah atmete tief aus. »Ich hatte gehofft, dass Sie diesen Vorschlag machen würden.«
»Carolines Vater und Großvater sind dafür.«
Schwester und Mutter waren also dagegen. Und Gruber selbst dürfte immer noch unentschlossen sein, wollte ihr aber eine Chance einräumen.
»Ich bin um zehn Uhr dort.«
»Ich werde pünktlich sein, Herr Gruber. Vielen Dank.«
Marie war zart und anmutig wie eine Tänzerin, ein Typ wie Audrey Hepburn. Oliver hatte sich vor zehn Jahren auf den ersten Blick in sie verliebt. Sie hatte zwei, drei Blicke mehr benötigt und ihn immer wieder eindringlich gewarnt. »Ich bin schwierig, und ich bin anders, als du es dir erträumst. Überleg dir gut, ob du dein Leben mit mir verbringen willst.«
»Warum sollte ich lange überlegen? Es gibt nichts, was wir beide nicht zusammen schaffen können«, hatte er stets erwidert – im Brustton der Überzeugung. Strahlend, verliebt, verblendet. Später würde er häufig an ihre Worte zurückdenken und sich fragen, wie er gehandelt hätte, wäre ihm klar gewesen, was sie meinte und wie sich ihre Ehe entwickeln würde.
O ja, sie hatten viel zusammen geschafft. Er hatte seinen zweiten Facharzt gemacht und arbeitete mittlerweile in leitender Position im Klinikum Eppendorf in der Herzchirurgie, wo ihm die ganz große Karriere vorausgesagt wurde, sie warDozentin für Romanistik an der Hamburger Universität, und Amelie war ein Wunschkind gewesen. Eine perfekte kleine Familie, zu Hause in einem großzügigen Anwesen in Hamburg-Fischbek, angesehen im Familien- und Freundeskreis, geachtet von Kollegen und Nachbarn.
Es gibt keine perfekten Familien, irgendwo ist immer der Wurm drin, das hatte er schon damals gedacht, ohne dem Gedanken jedoch allzu viel Bedeutung beizumessen. In seiner grenzenlosen Verliebtheit und Selbstüberschätzung war Oliver davon überzeugt gewesen, dass dieser Wurm winziger als eine verkümmerte Made war, die keinerlei
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